364 IV. Präsidium. Art. 17.
daß Rechtsfolgen daraus abgeleitet wurden, im konst. Reichstage beigelegt
worden ist.
Es bleibt noch die Frage zu beantworten, in welcher Richtung sich
die öffentliche Meinung gegenüber der Ministerverantwortlichkeit geltend
macht. Wie der Abg. v. Wächter in der Reichstagsfitzung v. 26. März 1867
St. B. 8361 sagte, liegt der Hauptwert der Verantwortlichkeit in der Ein-
wirkung des Gedankens der Verantwortlichkeit auf das ganze Verhalten der
vollziehenden Gewalten. Dies ist richtig; das Gefühl, von der öffentlichen
Meinung beobachtet zu werden, je mehr, je wichtiger die Maßregel ist,
und steis in dem Sinne, daß die Entscheidung als ein Beispiel, als ein
Präzedens aufgefaßt wird, das über die Bedeutung des einzelnen Falls
weit hinausgeht, muß für das Gefühl der entscheidenden Instanzen von
weit größerer Bedeutung sein, als es irgendwelche — sei es noch so harte
— Strafandrohungen sein könnten, die doch gegenüber einem hoch ent-
wickelten Verantwortlichkeitsgefühl, wie es vorausgesetzt werden muß, über-
flüssig sind.
Die normalen Mittel, um die öffentliche Meinung zum Ausdruck zu
bringen, find die parlamentarische Kritik, Interpellationen und Resolutionen
der Volksvertretung, deren Wirksamkeit nach dieser Richtung ihren Schwer-
punkt in der uneingeschränkten Offentlichkeit hat, in der sie sich vollziehen.
Es ist zwar nirgends vorgeschrieben, entspricht aber einem seit der Grün-
dung des Reichs bestehenden Gebrauch, daß der Reichskanzler, soweit er
seine Verantwortlichkeit vor der öffentlichen Meinung anerkennt, auf An-
griffe gegen seine Amtsführung im Reichstage Rede steht. Dasselbe muß
natürlich gegenüber einer etwaigen Kritik gelten, die vom Bundesrat aus-
geht. Dazu kommt, namentlich in neuerer Zeit, die stets zunehmende
Macht der Presse für die Ausbildung der öffentlichen Meinung, das außer-
ordentliche Interesse der Presse für die Regierungstätigkeit der leitenden
Staatsmänner, ihre durch gesetzliche Vorschriften nur unbedeutend ein-
geschränkte Freiheit der Kritik, die allgemeine Verbreitung der politischen
Zeitungen, die außerordentliche Schnelligkeit der Nachrichtenbeförderung,
die weitgehende Neigung, politische Ereignisse im Sinne der Kritik der
verantwortlichen Staatsmänner in Vereinen und Versammlungen zu be-
sprechen. Alles dies find imponderabile Momente, deren Zusammenwirken
der öffentlichen Meinung für die Geltendmachung der Verantwortlichkeit der
leitenden Staatsmänner eine so außerordentliche Macht verleiht, wie fie
aus keinem mit noch so strengen Strafvorschriften ausgerüsteten Verant-
wortlichkeitsgesetze entspringen könnte.
Die öffentliche Meinung setzt für ihre Wirksamkeit die Auskunfts-
pflicht des Reichskanzlers voraus. Denn die meisten Amtshandlungen des
Reichskanzlers können ihrem Sinn, ihrer Bedeutung, ihrem Zweck und ihren
Gründen nach authentisch nur durch die eigene Erklärung des Reichskanzlers
festgestellt werden, und dies ist auch die würdigste Form der Aufklärung.
Man hat die Auskunftspflicht als eine lex imperkfecta bezeichnet, weil fie
durch keine Strafbestimmung erzwingbar sei. Aber diese Eigenschaft teilt
sie mit vielen anderen Pflichten, deren Existenz und reale Bedeutung außer
jedem Zweifel steht. Leges imperfectae im Sinne des Zivilrechts kennt
das Staatsrecht nicht, weil Maßregeln äußeren Zwanges gegenüber den
leitenden Staatsmännern, deren Amt im höchsten Maße und nach jeder