Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 17. 365 
Richtung ein Vertrauensposten ist, eine praktische Bedeutung nicht haben 
können. Abgesehen von Fällen, in denen zwingende Gründe des Staats- 
wohls für die Geheimhaltung sprechen, wird die Auskunft nicht versagt 
werden können, und es ist anzunehmen, daß, wenn dies gleichwohl geschehen 
sollte, die öffentliche Meinung mit einer Kraft einsetzen würde, der niemand 
und nichts widerstehen kann. Fälle, in denen z. B. aus überwiegenden 
Gründen des Staatswohls, im eigenen Interesse der Nation die Auskunft 
nicht erteilt werden kann und stets abgelehnt worden ist, find schwebende 
internationale Verhandlungen, abgesehen wiederum von den Ausnahme- 
fällen, in denen etwa Zweckmäßigkeitsgründe der Politik es wünschenswert 
erscheinen lassen, die Macht und den Druck der öffentlichen Meinung alsbald für 
die inaugurierte Politik in Bewegung zu setzen. Erklärungen dieses Sinnes 
sind oft von den verantwortlichen Leitern der auswärtigen Politik des 
Reichs im Reichstage abgegeben worden, vgl. z. B. Fürst Bismarck in der 
Reichstagssitzung v. 26. Juni 1884 St. B. 1060. Aus seinen Ausführungen 
find folgende allgemeine Gesichtspunkte zu entnehmen: Ein Interesse der 
Nation und ihrer Vertretung, des Parlaments an wichtigen und grund- 
legenden Maßregeln der Exekutive ist an sich wünschenswert; das Gegen- 
teil wäre eines politisch durchgebildeten Volkes kaum würdig. Aber eine 
gegen den Reichskanzler bis in alle Einzelheiten seiner Maßnahmen gerichtete 
Kontrolle ist ein Unding; sie ist praktisch ebenso unausführbar als fie 
rechtlich dem Grundgedanken des Art. 17 widerspricht. Das richtige Maß 
kann nur im einzelnen Falle durch das politische Taktgefühl bestimmt 
werden. Für den laufenden Geschäftsgang muß, wenn nicht triftige 
Gründe im einzelnen Falle Bedenken erregen, das Vertrauen in das eigene 
Verantwortlichkeitsgefühl des Reichskanzlers genügen. In sehr erhöhtem 
Maße aber muß dieses Vertrauen sich auf die auswärtige Politik erstrecken, 
weil hier durch die Natur der Sache Auskünfte, die eine Grundlage für 
die Kritik abgeben könnten, in der Regel ausgeschlossen find. Es kann 
nicht jede einzelne Maßregel zum Gegenstande einer Kritik gemacht werden, 
bei der die Faktoren des Gelingens und Mißlingens wie ein Additions- 
und Subtraktionsexempel zusammengestellt werden, sondern erst nach längerer 
Zeit, nachdem epochemachende Abschnitte erreicht sind, darf die Aufrechnung 
gemacht und das Ergebnis mit der Verantwortlichkeit des leitenden Staats- 
mannes verglichen werden, die dann allerdings mit vervielfältigter Kraft 
ins Gewicht füällt. 
d) Die politische Verantwortung. 
Aus der öffentlichen Meinung, wenn sie zu der Amtstätigkeit der 
leitenden Staatsmänner in angreifendem und verneinenden Sinne Stellung 
nimmt, entspringt die politische Verantwortung. Ihr Ziel ist äußersten- 
falls die Beseitigung der für verantwortlich erklärten Personen. Diese 
Verantwortung kann unter dem Namen „politische Verantwortlichkeit“ zu 
der „moralischen Verantwortlichkeit“ in einen begrifflichen Unterschied 
gebracht werden, weil beide sich nicht notwendig decken. Die moralische 
Verantwortung ist wie die Moral selbst in ihrem Kern, wenn auch nicht 
in ihren sämtlichen äußeren Erscheinungen, ein für alle Zeiten feststehender 
Begriff, und selbst wenn man dies nicht anerkennen will, so ist fie jedes- 
falls eine Empfindung, die sich von innen heraus geltend macht, deren 
Schwerpunkt in dem eigenen Gewissen des verantwortlichen Staatsmannes
	        
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