Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

368 IV. Präsidium. Art. 17. 
VII. Die einheitliche Verantwortung 
erfordert eine Zentralisation der Verwaltung und eine enge Verbindung 
zwischen Preußen und dem Reich. 
Die Organisation der Reichsverwaltung hat in Preußen keinen Vor- 
gang. Die preußische Regierung ist nach dem System der Ressortminister 
und des ein Kollegium darstellenden Staatsministeriums gebildet. Dies 
war möglich, weil jeder Minister für sein Ressort und in Ansehung der 
Staatsministerialbeschlüsse als Mitglied dieses Kollegiums die Verantwor- 
tung trägt. Auf das Reich konnte diese Einrichtung nicht übertragen werden, 
weil nach der Reichsverfassung nur der Reichskanzler verantwortlich ist. 
In dem ganzen laufenden Geschäftsgange herrscht natürlich eine weitgehende 
Selbständigkeit der mit der Leitung der einzelnen Ressorts beauftragten 
Staatssekretäre, weil der Gesamtumfang der Geschäfte viel zu groß ist, als 
daß für den an der Spitze der ganzen Reichsverwaltung stehenden obersten 
Reichsbeamten mehr als ein allgemeiner Überblick möglich wäre. Aber 
da er für alle Ressorts verantwortlich ist, wenigstens für die allgemeine 
Richtung der Politik, so muß er in der Lage sein, verfügend eingreifen zu 
können, ein Recht, das in Preußen der Minister-Präfident nicht hat und 
nicht zu haben braucht, weil er die Verantwortung nicht ausschließlich trägt; 
vgl. Fürst Bismarck in der Sitzung des preuß. Abgeordnetenhauses v. 
25. Jan. 1873 St. B. 764 f., der dort u. a. ausgeführt hat, daß er sich im 
Reiche nur für die im großen Durchschnitt richtige Wahl der Personen, nicht 
für jede einzelne Handlung der Personen verantwortlich halte. 
Hand in Hand mit dieser Vereinigung der Zentralgewalt in einer 
Person geht die Notwendigkeit einer engen Verbindung zwischen dem Reich 
und Preußen durch Vermittelung der Person des Reichskanzlers analog der 
Verbindung, die durch die Personeneinheit zwischen dem Deutschen Kaiser 
und dem König von Preußen geschaffen ist — ebenso Laband 1 S. 351f. 
Meyer § 135 S. 459 f., Anschütz Encyklopädie S. 554f. Wie zu Art. 15 
A S. 315 ausgeführt, ist es zwar keineswegs staatsrechtlich notwendig, daß 
der Reichskanzler gerade die preußischen Stimmen im Bundesrat führt, und 
für seine staatsrechtliche und politische Stellung ist es sogar charakteristisch, 
daß er nicht die Interessen eines einzelnen Bundesstaats, sondern die des 
Reichs und der Gesamtheit der Verbündeten Regierungen vertritt. Aber da 
der Reichskanzler der erste Vertrauensmann des Kaisers und die preußische 
Politik von der Reichspolitik nicht zu trennen ist, so kann es kaum anders 
sein, als daß der Reichskanzler auch für den König von Preußen der 
leitende Staatsmann ist. Fürst Bismarck hat, durch Geschäftsüberbürdung 
veranlaßt, im Jahre 1873 einmal vorübergehend, d. h. versuchsweise eine 
andere Regelung herbeigeführt, und es wurde damals von seinen Ämtern 
der Posten eines preußischen Minister-Präsidenten abgezweigt und ander- 
weitig besetzt. Fürst Bismarck ging, wie er in der Sitzung des preußischen 
Abgeordnetenhauses v. 25. Jan. 1873 St. B. 765 näher erläutert hat, davon 
aus, daß die Verbindung zwischen Preußen und dem Reich schon dadurch 
genügend hergestellt sei, daß vermöge der Personeneinheit zwischen dem 
Deutschen Kaiser und dem König von Preußen der Reichskanzler als erster 
Vertrauensmann des Kaisers gleichzeitig das Vertrauen des Königs von 
Preußen haben müsse und daß er auf Grund dieses Vertrauens auch ohne
	        
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