370 IV. Präsidium. Art. 17.
dem Geist der Verfassung nicht widerspreche, indem er sich lediglich darauf
stützte, daß das Präsidium unabhängig vom Bundesrat über eine eigene
Exekutivgewalt verfüge. Zuzugeben ist, daß, soweit es sich nur um die
Rechte des Kaisers, um dessen eigene Exekutivgewalt handelt, eine Verteilung
der Verantwortung auf mehrere gleichberechtigte Personen, also auf ein
Kollegium an sich möglich wäre. Fürst Bismarck, der bei der Frage des
Reichsministeriums der Unterscheidung zwischen dem Ressort des Reichs-
kanzlers, als des Chefs der kaiserlichen Exekutivgewalt, und den Verwal-
tungsbefugnissen des Bundesrats stets Rechnung trug, hat, während er eine
Kompetenzänderung bezüglich der Befugnisse des Bundesrats unbedingt ab-
lehnte, in Ansehung der Kompetenz des Reichskanzlers sich den Wünschen
des Reichstags entgegenkommend gezeigt, freilich mit Einschränkungen, die
dann in dem Stellvertretungsgesetz zum Ausdruck gekommen sind; Fürft
Bismarck hat schon in der Reichstagssitzung v. 1. Dez. 1874 St. B. 420 ff.
ausgeführt, daß er gegen die Aufteilung seines Ressorts unter mehrere ver-
antwortliche Beamte, wenn ihm nur das Recht gewahrt bleibe, nötigenfalls
verfügend in den Geschäftskreis der auch nach außen verantwortlichen Be-
amten einzugreifen, eventuell nichts einzuwenden habe. Diese vom Fürsten
Bismarck damals schon vorgeschlagene Entwicklung hat sich dann im Stell-
vertretungsgesetz in der Hauptsache verwirklicht. Ohne den Titel eines
Reichsministers ist die Stellung der Chefs der obersten Reichsämter so ein-
gerichtet worden, daß sie für ihr Ressort die volle Verantwortung tragen;
aber der Reichskanzler kann verfügend eingreifen, eine Bestimmung, die für
den laufenden Geschäftsgang zweifellos nur die Bedeutung eines Sicherheits-
ventils hat. Der Reichskanzler bleibt neben den Staatssekretären für alle
Ressorts verantwortlich, wenigstens insofern, als er Ziel und Richtung der
gesamten Reichspolitik bestimmt. Mehrheitsbeschlüsse finden nicht statt;
sie find nicht notwendig, weil die Einheitlichkeit zwischen den verschiedenen
Ressorts genügend durch die Machtvollkommenheit des Reichskanzlers gewahrt
ist. Damit ist im wesentlichen die Organisation erreicht, für die der Abg.
Migquel und auch die Abg. Lasker und v. Bennigsen im konst. Reichstage
plädiert hatten. Nach wie vor fehlt es an der Einrichtung eines Minister-
Kollegiums, dessen Mitglieder unter sich gleichberechtigt find. Fürst Bis-
marck war aber überhaupt ein Gegner dieser kollegialen Organisation der
Zentralinstanz und hat — allerdings mit einer gewissen Übertreibung —
in der Reichstagsfitzung v. 13. März 1877 St. B. 126 sogar behauptet, daß
ein nach Majoritäten beschließendes kollegiales Ministerium in Ansehung
seiner Fähigkeit die Verantwortung zu tragen nicht anders zu beurteilen sei
als ein Parlament, da die Möglichkeit der Überstimmung für den einzelnen
da wie dort gegeben sei. Selbst wenn man so weit nicht gehen will, bleibt
die Tatsache bestehen, daß die Stellung der Reichsverwaltung dem Bundes-
rate gegenüber um so mehr gestärkt wird, je schwerer die Verantwortung der
Reichsverwaltung vor dem Reichstag ins Gewicht fällt, und diese Verant-
wortung bedeutet mehr, wenn sie in einer Person konzentriert ist, die sich nie
auf eine Majorisierung oder auch nur auf Rücksichten gegenüber gleichgestellten
Kollegen berufen kann. Der Reichskanzler hat deshalb gegenüber dem Bundes-
rat eine stärkere Stellung, als fie einzelne Reichsminister haben könnten.
Auch die Situation der Reichsverwaltung gegenüber dem Reichstage
würde durch eine kollegiale Verfassung geschwächt werden. Als auf den