32 I. Bundesgebiet. Art. 1.
R.G. Bl. S. 212, daß Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen Reiche für
immer vereinigt werde, daß in dem neuen Gebiet die Reichsverfassung zu
einem bestimmten — späteren — Zeitpunkt in Kraft treten und daß die
Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen der Kaiser ausübe. Dieser Rechtszustand
ist nach einem ÜUbergangsstadium und nachdem auf Grund des Reichsgesetzes
v. 25. Juni 1873 R.G. Bl. S. 161 die Reichsverfassung für Elsaß-Lothringen
v. 1. Jan. 1874 ab in Wirksamkeit getreten war, durch die Reichsgesetze v.
2. Mai 1877 betr. die Landesgesetzgebung von Elsaß-Lothringen R. G. Bl.
S. 491 und v. 4. Juli 1879 betr. die Verfassung und Verwaltung Elsaß-
Lothringens R.G. Bl. S. 165 dahin ergänzt worden, daß die Landesgesetze
für Elsaß-Lothringen vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrats und
des Landesausschusses (der Volksvertretung von Elsaß-Lothringen) erlassen
werden, daß aber auch der Erlaß von Landesgesetzen im Wege der Reichs-
gesetzgebung — also durch übereinstimmenden Mehrheitsbeschluß des Bundes-
rats und Reichstags — vorbehalten wird und daß die auf letzterem Wege
erlassenen Landesgesetze nur im Wege der Reichsgesetzgebung aufgehoben und
geändert werden dürfen; ferner ist bestimmt (8§ 1 des Ges. v. 1879), daß
der Kaiser landesherrliche Befugnisse, die ihm kraft Ausübung der Staats-
gewalt in Elsaß-Lothringen zustehen, einem Statthalter übertragen darf,
der vom Kaiser ernannt und abberufen wird, also ein vom Kaiser abhängiger
Staatsbeamter ist.
Hieraus ergibt sich: Elsaß-Lothringen ist ein Teil des Bundesgebiets,
ohne einen selbständigen Einzelstaat oder einen Teil eines anderen Einzel-
staats zu bilden; in dem Gesetz v. 25. Juni 1873 ist es als „Reichsland“
bezeichnet. Elsaß--Lothringen nimmt also in Ansehung seiner staatlichen
Selbständigkeit keine den Einzelstaaten koordinierte Stellung ein. Seine
staatsrechtliche Lage wird dadurch charakterisiert, daß nach dem insoweit
noch in Kraft gebliebenen Reichsgesetz v. 9. Juni 1871 der Kaiser als solcher
die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ausübt. In den Motiven zu diesem
Gesetz St. B. v. 1871 Bd. 3 S. 156ff. Nr. 61 ist ausdrücklich bemerkt:
„Das von Frankreich abgetretene Gebiet ist nicht bestimmt, einen mit
eigener Staatshoheit bekleideten Bundesstaat zu bilden, die Landeshoheit
über dasselbe ruht im Reiche."
Der Staatsminister Delbrück hat in der Reichstagssitzung vom 20. Mai
1871 St. B. 826 hierzu erklärt:
„Die formellen Schwierigkeiten, die in der Stellung eines Landes
liegen, welches nicht Teil eines Bundesstaats und welches auch selbst
kein Bundesstaat ist — diese formellen Schwierigkeiten, die ich nicht
verkenne, können an sich unmöglich davon abhalten, dem Lande eine
solche Stellung zu geben, wenn man der überzeugung ist: Diese Stellung
ist an sich richtig."
Dieser Überzeugung lag die politische Erwägung zugrunde, daß die
Verschmelzung der Bevölkerung von Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen
Reich, die für die Sicherung des europäischen Friedens notwendig war,
mehr gefördert werden würde, wenn dem neu eroberten Gebiet nicht die
Stellung eines selbständigen Bundesstaats eingeräumt, andererseits aber
auch von den Elsaß-Lothringern nicht verlangt würde Preußen zu werden.
Für die Vereinigung des Landes mit einem der deutschen Einzelstaaten
wäre nur Preußen in Betracht gekommen, während zu berücksichtigen war,