V. Reichstag. Art. 22. 423
heit der sachlichen Bedeutung der Reden Rechnung tragen, obwohl sich dabei
dem subjektiven Ermessen des Berichterstatters ein weiter Spielraum bietet;
fie dürfen aber nicht von parteipolitischen Gesichtspunkten geleitet sein und
insbesondere nicht den Erfolg haben, daß der Sinn der einzelnen Rede
verändert wird; vgl. Laband I S. 321, Olshausen Strafgesetzbuch § 12
Nr. 6, Arndt S. 138, Hubrich in Hirth's Annalen 1897 S. 1 ff. Ob da-
nach der Bericht wahrheitstreu ist, liegt im Bereich der tatsächlichen Fest-
stellung des Gerichts; vgl. Reichsgericht Bd. 18 S. 207, Olshausen a. a. O.
III. Der Begriff der Verhandlung im Sinne des Abst. 2.
Auch im Abs. 2 find nur die Plenar= und nicht die Kommissions-
sitzungen gemeint. Berichte über letztere sind von der Haftpflicht nicht frei;
ebenso Olshausen § 12 A. 4, Oppenhof § 12 A. 5, Zorn 1 S. 245.
Ferner gilt als Verhandlung im Sinne des Abs. 2 nur die Verhand-
lung in ihrer Totalität, soweit sie sich auf den fraglichen Punkt der Tages-
ordnung bezieht. Berichte über einzelne Teile der Verhandlung fallen nicht
unter Abs. 2; vgl. Reichsgericht a. a. O. Bd. 18 S. 210. Das Reichs-
gericht geht von der richtigen Auffassung aus, daß ein zutreffendes Bild
von der Verhandlung nur gewonnen werden kann, wenn der Bericht alle
Ereignisse der Verhandlung — Reden und Erwiderungen, Erklärungen der
Regierungsvertreter, Eingriffe des Präsidenten und die Abstimmung — um-
faßt. Die „Verhandlung“ ist nicht identisch mit der Sitzung, die ver-
schiedene Punkte der Tagesordnung umfassen kann, andererseits braucht der
Bericht nicht die gesamten auf denselben Punkt bezüglichen Verhandlungen.
in einem Stück zu bringen, wenn diese Verhandlungen sich auf mehrere
Sitzungen verteilen. Die vom Reichsgericht aufgestellten Regeln — die
fast allgemein anerkannt find, vgl. Oppenhof § 12 A. 6 — laufen darauf
hinaus, eine möglichst wahrheitsgetreue Wiedergabe des Eindrucks der ganzen
Verhandlung sicher zu stellen. Es wird für die Berichterstattung von der
Presse Objektivität verlangt oder es tritt die Verantwortung nach dem all-
gemeinen Preßrecht ein. Die Unverantwortlichkeit des Redakteurs soll in
ihren Wirkungen nicht noch weiter reichen als die des Abgeordneten. Des-
halb sind alle Kautelen für das Zeitungsreferat erforderlich, die in der
Sitzung selbst eine Rolle spielen und aus diesem Grunde müssen alle der
Wirkung der Rede eines einzelnen Abgeordneten zuwiderlaufenden Momente
— Einwendungen anderer Abgeordneten oder der Regierungsvertreter, Ein-
schreiten des Präsidenten gegen Verletzung der Geschäftsordnung oder der
Disziplin, Ablehnung der vorgetragenen Ansichten durch den Beschluß des
Hauses — in dem schriftlichen Referat wiederkehren, damit sie bei dem
Leserkreis eine ihrer tatsächlichen Bedeutung möglichst genau entsprechende
Würdigung finden können.
Private Außerungen eines Abgeordneten, die zwar im Laufe einer
Sitzung getan werden, aber nicht zu der Verhandlung gehören, fallen nicht
unter die nach Abs. 2 unverantwortliche Berichterstattung.
IV. Die Folgen der Unverantwortlichkeit.
Man kann die Konsequenzen, zu denen das Prinzip der Unverantwort-
lichkeit der Parlaments-Berichterstattung führt, am besten erkennen aus den