460 V. Reichstag. Art. 30.
. Dagegen fallen unter diesen Begriff nicht nur die Reden, die zum
Gegenstand der Beratung gehalten werden, sondern auch sogen. persönliche
Bemerkungen, durch die nach Schluß der Debatte zu den in den Reden
enthaltenen, an bestimmte Personen gerichteten Bemerkungen Stellung
genommen wird, ferner Zwischenbemerkungen, durch die im Hinblick auf
eine soeben gehaltene Rede mittels Unterbrechung des Redners eine Ansicht
kurz geäußert werden soll. Jedoch handelt ein Abgeordneter nicht mehr in
Ausübung seines Berufs, wenn er die Verhandlung benutzt, um AÄußerungen
kundzugeben, die ganz abseits von dem Gegenstand der Tagesordnung liegen
und bei denen nicht die Absicht obwalten kann, den — wenn auch außer-
halb der Tagesordnung befindlichen — Gegenstand der Außerung zum
Inhalt einer parlamentarischen Verhandlung zu machen, 3. B. wenn ein
Abgeordneter bei Gelegenheit einer Plenar= oder Kommissiolssitzung gegen
in oder außerhalb des Parlaments befindliche Personen persönliche Angriffe
richtet, deren Ursachen sich aus dieser oder den vorausgegangenen, Beratungen
nicht ergeben, auch nichts mit dem Gegenstand der Beratung zu kun haben
und bei denen öffentliche Interessen von dem Angreifenden nicht wahr-
genommen werden. Für den Zusammenhang mit dem Beruf d#s Ab-
geordneten bleibt dann nur die Tatsache übrig, daß die Außerung im
Sitzungssaale bei Gelegenheit einer Beratung getan ist, und dieser Umstand
stellt mit dem Beruf nur einen zeitlichen und örtlichen, also rein äußerlichen,
aber keinen ursächlichen Zusammenhang her; vgl. v. Seydel S. 211 f., Zorn!
S. 245, 230 A. 32, Arndt S. 140, v. Rönne I S. 270, Olshausen 8§8 11
A. 3Za, Oppenhof § 11 A. 4, Binding Handbuch des Strafrechts 1 S. 675ff.,
Hubrich Parlamentarische Redefreiheit und Disziplin S. 361.
VII. Außerungen.
Die Aufnahme dieses Worts in den Verfassungstext hat folgende
Vorgeschichte: Das preuß. Ober-Tribunal hatte in einem Beschluß v.
29. Jan. 1866 die Bestimmung des Art. 84 Verf. Urk., wonach nur die in
der Kammer „ausgesprochenen Meinungen“ geschützt waren, dahin aus-
gelegt, daß als „Meinungen“ nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nur
die Resultate des Denkvermögens im Gegensatz zur Behauptung und Ver-
breitung von Tatsachen aufzufassen seien und daß unter „Meinungen“
nicht überall dasjenige zu verstehen sei, was der allgemeine Ausdruck
„Außerungen“ in sich schließe, da man absichtlich vermieden habe, den
Ausdruck „Außerungen“ in den Art. 84 aufzunehmen. Um diesem Stand-
punkt den Boden zu entziehen, ist für den Art. 30 R.V. die Bezeichnung
„Außerungen“ gewählt worden, also gerade derjenige Begriff, von dem das
Obertribunal anerkannt hat, daß er weit genug sei, um die Verbreitung
von Tatsachen einzuschließen. Dieser Begriff umfaßt überhaupt jede wört-
liche oder pantomimische Kundgebung eines Gedankens; eine sachgemäße
Beschränkung enthalten die unter VI erläuterten Worte „in Ausübung des
Berufs“. Dagegen fallen Tätlichkeiten nicht unter den Begriff der Auße-
rungen; ebenso v. Seydel S. 212, Arndt S. 140, Binding a. a. O. S. 675f f.
Abgesehen davon, daß schon vom rein logischen Standpunkt aus der Ein-
griff in die körperliche Integrität eines andern, selbst wenn darin nicht der
Tatbestand der Körperverletzung liegt, nicht als eine Außerung aufgefaßt