468 V. Reichstag. Art. 31.
maßgebend find, sondern der Sinn, den dieser Begriff in der Gesetzgebung
hatte, aus der er entstanden ist. Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 31
folgert das Reichsgericht, daß unter dem Begriff der Untersuchung „die
Summe aller derjenigen Amtshandlungen der zuständigen Behörde zu ver-
stehen ist, welche darauf abzielen, nach Feststellung einer strafbaren Handlung
den Täter zu ermitteln und zu bestrafen und daß das Verbot des Art. 31
dahin zu verstehen ist, daß ohne vorgängige Genehmigung des Reichstags
während der Sitzungsperiode keine dieser Handlungen einem der Begehung
der Tat verdächtigten Abgeordneten gegenüber vorgenommen werden darf,
wobei es ohne jede Bedeutung ist, ob diese Handlung unmittelbar oder
nur mittelbar gegen die Person des Abgeordneten gerichtet ist, ob also ihre
Ausführung die Anwesenheit des Abgeordneten notwendig erfordert oder
nicht.“ Von diesem Standpunkt aus hat das Reichsgericht sogar gerichtliche
Verfügungen, die lediglich den Zweck haben, den Aufenthalt des beschuldigten
Abgeordneten festzustellen, für unzulässig erklärt. Wenn von Adam D. Jur.
Zeit. 1904 S. 358 aus der Entstehungsgeschichte des Art. 31 der entgegen-
gesetzte Schluß gezogen ist — daß nur das Hauptverfahren und die förmliche
Voruntersachung im Gegensatz zu dem Ermittelungsverfahren der Staats-
anwaltschaft darunter falle — so erklärt sich die Differenz daraus, daß
Adam die maßgebenden gesetzestechnischen Bezeichnungen in der Verordnung
„Über die Einführung des mündlichen und bffentlichen Verfahrens mit
Geschworenen in Untersuchungssachen“ v. 3. Jan. 1849 findet. Dies ist
aber nicht richtig. Diese Verordnung ist für die Entstehung wie für die
Auslegung des Art. 31, bez. des Art. 84 der preuß. Verf Urk. unerheblich.
Denn der Ausdruck „zur Untersuchung ziehen“ fand sich, wie das Reichs-
gericht a. a. O. Bd. 24 S. 207 hervorhebt, bereits in der preuß. Verf Urk.
v. 5. Dez. 1848 und ist dorthin aus dem § 2 des Ges. v. 23. Juni 1848
betr. den Schutz der zur Vereinbarung der preuß. Verfassung berufenen
Versammlung (Ges. S. S. 157) übergegangen. Das letztere Gesetz enthielt
die Bezeichnung „zur Verantwortung ziehen.“ Im Vergleich zu diesem das
vorbereitende Verfahren umfassenden Ausdruck stellte die in der Verf. Urk.
v. 5. Dez. 1848 ohne Begründung der ünderung gewählte Bezeichnung „zur
Untersuchung ziehen“, wie das Reichsgericht mit Recht bemerkt, nur eine
redaktionelle änderung ohne Modifizierung des Sinns und Gedankens dar.
Ahrlich hatte sich das Reichsgericht in der Entsch. v. 24. Juni 1892 IV Strff.
Bd. 23 S. 185 erklärt. Unzulässig find also alle Amtshandlungen, die dar-
auf abzielen, einen Abgeordneten einer strafbaren Tat zu überführen, ins-
besondere die Einleitung eines neuen Strafverfahrens, die Vorladung eines
Abgeordneten zum Zweck der verantwortlichen Vernehmung, selbst die Mit-
teilung einer Privatklage, da sie gemäß § 422 St. P.O. eine gerichtliche
Verfügung voraussetzt, ein Fall, der in der Reichstagsfitzung v. 10. Juni
1902 St.BB. 55230D zur Sprache kam.
Andererseits hat das Reichsgericht Entsch. v. 17. Okt. 1895 I. Strsf.
Bd. 27 S. 385 und v. 28. Sept. 1905 IV. Strff. Bd. 38 S. 179 den Be-
griff des „zur Untersuchung ziehen“ mit Rücksicht auf den durch Art. 31
Abs. 3 geschaffenen Gegensatz des bereits anhängigen Strafverfahrens und
besonders auf Grund der Verhandlungen der preußischen Ersten Kammer
Bd. 2 S. 442 und Zweiten Kammer Bd. 3 S. 167 von 1849 dahin ein-
schränkend ausgelegt, daß die Genehmigung des Reichstags nur erforderlich