V. Reichstag. Art. 31. 469
ist für Strafverfahren, die erst nach Beginn der Sitzungsperiode begonnen
werden. Maßgebend für den Beginn der Untersuchung ist die erste Ver-
fügung, die vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft oder der Polizei-
behörde oder irgend einer anderen für die Strafverfolgung zuständigen Be-
hörde erlassen wird; vgl. Reichsgericht a. a. O. Bd. 27 S. 385.
Art. 31 bezieht sich auf Strafverfahren jeder Art, also auch auf Dis-
ziplinar= und polizeiliche Strafverfahren, dagegen nicht auf administrative
Zwangsverfahren, weil es sich dabei nicht um ein Strafverfahren handelt
und die Verhängung von Strafen in einem solchen Verfahren nur der Er-
zwingung des Gehorsams und nicht der Ahndung einer Gesetzesübertretung
dient; so v. Rönne I S. 276 A. 1, 2 und die dort aus der älteren Praxis
des Reichstags und preuß. Abgeordnetenhauses angeführten Fälle, Arndt
S. 142. Ordnungsstrafen fallen nicht unter Art. 31 Abs. 1, weil es sich
dabei nicht um die Aufdeckung einer strafbaren Handlung und nicht um
eine Untersuchung handelt. Dies schließt nicht aus, daß eine angeordnete
Haft auf Grund des Abs. 3 nach Beginn der Sitzungsperiode für deren
Dauer auf Verlangen des Reichstags aufgehoben werden muß; vgl. Sontag
D. Jur. Zeit. 1906 S. 1010.
Die Zeugnispflicht der Reichstagsmitglieder wird durch Art. 81 eben-
falls nicht berührt, ebensowenig ihre Pflicht, sich alle Maßregeln gefallen zu
lassen, die in einem gegen andere Personen gerichteten Strafverfahren zum
Zwecke der Beweisaufnahme notwendig find, z. B. eine Durchsuchung (8§ 108
St. P.O.; vgl. oben Art. 30 XlI S. 468 f. und Laband D.Jur.Zeit. 1906 S. 955,
ferner v. Rönne 1 S. 276 A. 3 und die dort aus der älteren preußischen
Praxis angeführten Fälle, insbesondere die Ausführungen des Abg. Gneist in
der Sitzung des Abgeordnetenhauses v. 17. März 1875 St. B. 858). Auf die
für den Fall der Zeugnisverweigerung festzusetzenden Haftstrafen kann Art. 31
Anwendung finden. Es ist unerheblich, ob die Ablegung des Zeugnisses oder
die Durchführung, die in einem gegen andere Personen gerichteten Verfahren
angeordnet wird, Beweismaterial liefert, das Veranlassung zur Einleitung
des Strafverfahrens gegen den betreffenden Abgeordneten selbst geben kann.
Da von Art. 31 nur solche Untersuchungs= oder Strafverfahren be-
troffen find, die gegen die Person eines Abgeordneten gerichtet sind, so kann
gegen ihn ein sogen. objektives Verfahren auf Grund der §§ 40—42 Str.G. B.
ohne Rücksicht auf Art. 81 eingeleitet werden, wenn es nicht die Bestrafung
des Abgeordneten, sondern nur die Einziehung von Sachen, die in seinem
Besitz find, z. B. Druckschriften, zum Gegenstande hat. Dasselbe gilt von
dem lediglich auf Wertersatz, Nachzahlung von Steuern und dergl. ge-
richteten Verfahren.
V. Die Verhaftung.
Die zwangsweise Vorführung eines ohne Entschuldigung in der Haupt-
verhandlung ausgebliebenen Angeklagten fällt als eine nur auf Erzwingung
des Gehorsams berechnete Maßregel nicht unter den Begriff der Verhaftung
und bedarf daher nicht der Genehmigung des Reichstags; so das Reichs-
gericht a. a. O. Strfs. Bd. 38 S. 179 und der Staatssekretär des Reichs-
Justizamts Nieberding in der Reichstagsfitzung v. 2. März 1904 St. B.
1452, ferner Sontag a. a. O. S. 60, Adam DlJur.Zeit. 1904 S. 358;
vgl. auch v. Rönne 1 S. 276 und die dort A. 2 aus der Praxis des Reichs-
tags angeführten Fälle. Dabei ist überall vorausgesetzt, insbesondere auch