492 VI. Zoll- und Handelswesen. Art. 35.
bildet, die beide durch eine Verteuerung dieses Rohprodukts in ihrer Kon-
kurrenzfähigkeit mit der Inlandsproduktion ähnlicher Erzeugnisse oder mit
der Auslandsproduktion gleicher oder ähnlicher Erzeugnisse leiden würden.
Andererseits unterliegen Rohprodukte einem hohen Zoll, bei denen eine weitere
Fortbildung durch die inländische Industrie, der sogen. Veredelungsverkehr,
nicht in Frage kommt, also durch die Fernhaltung des Auslandsprodukts
der inländischen Industrie nichts oder doch nur wenig verloren geht, während
die Verzollung durch das Interesse der Landwirtschaft geboten wird, z. B.
die Rohprodukte der Landwirtschaft, namentlich Getreide und Vieh.
Über dieses ganze Gebiet der Wirtschaftspolitik disponiert das Reich
auf Grund des Art. 35, weil ihm die Gesetzgebung über das gesamte Zoll-
wesen anvertraut ist, und wenn man auch bei dem Erlaß dieser Bestimmungen
vorzugsweise an finanzpolitische Maßregeln, an die finanzielle Sicherstellung
des Reichs gedacht hat, weil z. Zt. der Gründung des Reichs ein über-
wiegend aus wirtschaftspolitischen Erwägungen aufgebautes Zollsystem —
Schutzzollsystem — in Deutschland nicht eingeführt war, so ist doch der
von der Verfassung im Art. 35 gewählte Ausdruck weit genug, um die ver-
änderte Zollpolitik der späteren Zeit vollständig zu umfassen und damit die
Wirtschaftspolitik dem Reich ausschließlich zu überweisen.
b) Die Regelung des Zollwesens durch die Reichsgesetzgebung.
Die grundlegenden Bestimmungen des Reichs über das Zollwesen find,
abgesehen von den Handelsverträgen, enthalten: in dem Zollvereinsvertrage
v. 8. Juli 1867 B. G. Bl. S. 81, im Vereinsgzollgesetz v. 1. Juli 1869
B. G. Bl. S. 317 und im Zolltarifgesetz v. 25. Dez. 1902 R.G. Bl. S. 303.
Der Grundsatz ist die Freiheit der Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr. Aus-
nahmen kommen nur unter besonderen Umständen aus gesundheits-- oder
sicherheitspolizeilichen Rücksichten vor. Zölle werden nur nach Maßgabe des
ein für alle Male festgesetzten Tarifs erhoben; dies gilt sowohl von der
Einfuhr wie von der Ausfuhr, von der Durchfuhr werden Zölle nicht er-
hoben. Binnenzölle sind unzulässig, nicht jedoch auch Abgaben, die für die
Benutzung besonderer zur Erleichterung des Verkehrs bestimmter Anlagen,
als Brücken, Fähren, Kanäle, Schleusen usw. erhoben werden; vgl. 88§ 1—8
des Vereinszollgesetzes. Im übrigen enthält dieses Gesetz Ausführungs-
bestimmungen über die Erhebung der Zölle, die Obliegenheiten der Zoll-
pflichtigen, die Kontrolle der Zollpflicht und die Bestrafung von Zuwider-
handlungen.
Das Zolltarifgesetz v. 25. Dez. 1902 enthält neben dem äußerst detail-
lierten, in 946 Positionen zerfallenden Zolltarif Vorschriften über die
Behandlung der Zollausschlüsse, sowie eine Bestimmung darüber, daß in
jedem Steuerdirektionsbezirk eine Behörde zu errichten ist, die auf Verlangen
über die Zolltarifsätze Auskunft zu geben hat, zu welchen bestimmte Waren
oder Gegenstände im deutschen Zollgebiete zugelassen werden. Ferner enthält
das Gesetz Ausführungsbestimmungen über die Zollerhebung, die Berechnung
der Gewichtszölle, die Zulassung gewisser Zollbefreiungen, Ursprungszeugnisse
(§9) und Zollzuschläge als Repressivmaßregeln (§ 10), Einfuhrscheine und
Transitläger für Getreide und einige andere Feldfrüchte (§ 11), ergänzt durch
das Reichsges. betr. die Wertbestimmung der Einfuhrscheine im Zollverkehre
v. 17. Febr. 1906 R.G. Bl. S. 137, die Stundung von Zöllen (§ 12) und