Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

VI. Zoll- und Handelswesen. Art. 35. 493 
eine Strafbestimmung für Zuwiderhandlungen (§ 14). Im 8 15 ist be- 
stimmt, daß die Mehreinnahme aus gewissen Nettozollerträgen (Roggen, 
Weizen, Mehl, sowie Fleisch und Schweinespeck) zur Erleichterung der Durch- 
führung einer Witwen= und Waisenversorgung zu verwenden ist. Diese 
Bestimmung steht nur in äußerlicher Verbindung mit dem Zolltarifgesetz. 
Wegen der Vorschrift des § 18 — Eingriff in das Kommunalsteuerwesen — 
vgI. Art. 4 S. 146. Unter welche Pofitionen des Zolltarifs die eingeführten 
Waren fallen, ist nach dem „amtlichen Warenverzeichnis“ zu bestimmen, 
das unter formeller Urheberschaft des Bundesrats herausgegeben wird und 
gemäß § 12 des Vereinsgollgesetzes die einzelnen Warenartikel nach ihren 
im Handel und sonst üblichen Benennungen in alphabetischer Ordnung 
aufzählt und die auf jede von ihnen anzuwendende Tarifnummer bezeichnet. 
Beschwerden über die Anwendung des Tarifs im einzelnen Falle werden 
im Verwaltungswege entschieden. Für Zwecke der Statistik des Waren- 
verkehrs des Deutschen Zollgebietes mit dem Auslande ist durch Reichsges. 
v. 20. Juli 1879 R. G. Bl. S. 261, ergänzt durch das Reichsges. v. 7. Febr. 
1906 R. G. Bl. S. 104 die Anmeldung aller Waren, die über die Grenzen 
des Deutschen Zollgebietes ein-, aus- oder durchgeführt werden, und die 
Entrichtung einer in die Reichskasse fließenden statistischen Gebühr vor- 
geschrieben. 
Tc) Handelsverträge. 
Die elementaren Grundsätze der Wirtschaftspolitik erfordern es, daß 
ein Land, das eine so bedeutende Ausfuhr wie Deutschland hat, auf die 
Zollbestimmungen des Auslands so sehr als möglich Einfluß gewinnt, um 
einen Zollkrieg zu verhindern. Deshalb ist die Anwendung autonomer 
Zollsätze die Ausnahme und der Abschluß von Zoll= und Handelsverträgen 
die Regel geworden. Der autonome Zolltarif kann aber die Richtschnur 
für die Handelsverträge bilden, und wenn dieser Tarif durch ein Gesetz 
festgestellt wird, erhalten die Verbündeten Regierungen ein Mittel, den 
Reichstag, dessen Genehmigung für die Handelsverträge nach Art. 11 
R.V. an sich nur in dem Sinne erforderlich ist, daß er die Verträge im 
ganzen annehmen oder ablehnen kann, auch schon für die Feststellung 
einzelner Fragen heranzuziehen, während sich die Reichsverwaltung damit 
für die schließliche Genehmigung der Verträge durch den Reichstag schon 
von Anfang an eine gewisse Sicherheit schafft. So ist z. B. das letzte 
Zolltarifgesetz v. 25. Dez. 1902 in der Tendenz erlassen, daß die dort 
aufgestellten Zollsätze, ihre Höhe und die ihnen zugrunde liegende Ein- 
teilung der einzelnen Warengattungen wie die allgemeinen Vorschriften über 
die Erhebung der Zölle als Richtschnur für die Vertragsverhandlungen 
dienen. Dabei stellen, abgesehen von Ausnahmefällen, in denen Zollzuschläge 
als Kampfmittel in einem Zollkriege benutzt werden (8 10 des Gesetzes), die 
in dem Tarif enthaltenen Sätze im allgemeinen den Höchstbetrag dar, der 
in Vertragsverhandlungen herabgesetzt werden kann, um durch den Nachlaß 
Konzessionen des Gegners zu erkaufen. In dem letzten Zolltarifgesetz find 
aber auch für einige Positionen, nämlich für Roggen, Weizen, Spelz, Malz- 
gerste und Hafer Minimalzölle festgesetzt worden, die durch vertragsmäßige 
Abmachungen nicht herabgesetzt werden durften. Hier lag die Absicht zu- 
grunde, für diejenigen Zollpofitionen, die von vornherein vorzugsweise der 
Gegenstand des politischen Kampfes im Parlament waren und deren un-
	        
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