494 VI. Zoll- und Handelswesen. Art. 35.
gemessene Herabsetzung die Handelsverträge im Reichstage zum Scheitern
gebracht haben würde, der Reichsverwaltung einen bestimmten Anhaltspunkt
für die mögliche Herabsetzung zu gewähren, damit sie wußte, wie weit fie
bei den Vertragsverhandlungen den auf diese Pofitionen besonders konzen-
trierten Wünschen des Auslandes entgegenkommen konnte, ohne die Gefahr
zu laufen, daß das Zustandekommen der Verträge schließlich an dem Wider-
spruch des Reichstags scheitern würde.
Die Handelsverträge können — nach Laband IV S. 406 — in drei
Gruppen eingeteilt werden: in Handelsverträge, durch welche in Abänderung
des Zolltarifgesetzes die Zollsätze anderweitig und zwar niedriger festgesetzt oder
auch im Wege der sogen. Zollbindung auf Seiten des gegnerischen Staates
Erhöhungen gewisser Zollpositionen über einen bestimmten Maximalsatz
hinaus ausgeschlossen werden, ferner in sogen. Meistbegünstigungsverträge,
bei denen die vertragschließenden Staaten sich gegenseitig oder einer von
ihnen dem anderen einseitig alle Zollbegünstigungen und Zollbefreiungen
einzuräumen sich verpflichtet, die irgend einem anderen Staat eingeräumt
werden. Eine dritte besondere Gruppe bildet das Vertragsverhältnis zu
Frankreich, das durch Art. 11 des Frankfurter Friedens bestimmt wird und
gewissermaßen eine beschränkte Meistbegünstigung darstellt, nämlich des
Inhalts, daß Deutschland und Frankreich sich gegenseitig alle Vorteile ein-
räumen, die einer von ihnen einem der folgenden Staaten gewährt: Eng-
land, Belgien, Niederlande, Schweiz, Oesterreich, Rußland.
Für die Auslegung der Handelsverträge ist zu bemerken, daß die
Regeln, unter denen ein Staatsvertrag steht, aus dem Civilrecht nur soweit
ergänzt werden können, als nicht die Tatsache, daß die Verträge von Staaten
in Ausübung ihrer Staatsgewalt geschlossen werden und daß den Gegen-
stand des Vertrages öfsentliche Interessen bilden, der analogen Anwendung
von Vorschriften des Civilrechts — nur um Analogie kann es sich handeln —
entgegensteht. So ist im Anschluß an die Tatsache, daß das Vertrags-
verhältnis zu Frankreich, als ein Bestandteil des Frankfurter Friedens-
vertrages, zeitlich unbeschränkt und nicht einseitig kündbar ist, zu bemerken,
daß die im B. G. B. enthaltenen Bestimmungen über die Unzulässigkeit von
gewissen zeitlich unbeschränkten Verpflichtungen auf Staatsverträge unüber-
tragbar sind, weil die Gründe, die maßgebend waren, derartige Beschrän-
kungen im Civilrecht festzusetzen — die Besorgnis vor einer zu weitgehenden
Abhängigkeit von Privatpersonen und Einschränkung der Willensfreiheit —
auf Staatswesen, die zeitlich unbeschränkte Verpflichtungen eingehen wollen,
keine analoge Anwendung verdienen. Dagegen ist nicht mit Unrecht durch
sinngemäße Anwendung der entsprechenden Regeln des Civilrechts angenommen
worden, daß das Handelsvertragsverhältnis mit den Vereinigten Staaten
von Amerika, das bis zu dem Abkommen vom Juli 1900 auf Verträgen
beruhte, die u. d. 1. Mai 1828 von Preußen und den anderen am Meere
gelegenen deutschen Bundesstaaten geschlossen war, durch konkludente Hand-
lungen vom Reich anerkannt und damit auf das Reich übergegangen ist,
das an sich nicht der Rechtsnachfolger der Einzelstaaten in dem Sinne ist,
daß es unmittelbar in die von den Einzelstaaten dem Ausland gegenüber
erworbenen Rechte und übernommenen Verbindlichkeiten eingetreten ist.
Kein im Wesen des Staatevertrages begründetes Moment steht entgegen,
schlüssigen faktischen Handlungen die ihnen im Civilrecht zukommende Be-