572 XI. Reichskriegswesen. Art. 57.
Art. 57 f. die Grundzüge des Militärrechts festgelegt und durch zahlreiche
Reichsgesetze und Verordnungen weiter ausgeführt worden.
Art. 57 knüpft an die vor Gründung des Reichs in Preußen vorhanden
gewesenen militärischen Einrichtungen, insbesondere an das preußische Gesetz
v. 3. Sept. 1814 Ges. S. S. 79 und enthält den das Volksheer kenn-
zeichnenden Grundsatz, daß jeder Deutsche wehrpflichtig ist und sich in
Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen kann.
Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht ist in dem im ganzen Reich
geltenden Bundesgesetz betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienst v. 9. Nov.
1867 B. G. Bl. S. 131 ausgeführt. Danach sind von der Wehrpflicht allein
ausgenommen:
Die Mitglieder regierender Häuser und die Mitglieder der mediatifierten,
vormals reichsständischen und derjenigen Häuser, denen die Befreiung von
der Wehrpflicht durch Verträge zugefichert ist oder auf Grund besonderer
Rechtstitel zusteht. Bezüglich der Chefs der regierenden Häuser ist die
Ausnahme selbstverständlich. Die Wehrpflicht setzt ein Verhältnis staats-
rechtlicher Unterordnung voraus und ist deshalb ipso jure — also auch
ohne einen entsprechenden Vorbehalt im Art. 57 — für die Souveräne
ausgeschlossen. Für die anderen Mitglieder der regierenden Häuser und
die Mitglieder der mediatisierten Familien gilt dasselbe zwar nicht und es
ist allerdings anzunehmen, daß die Tendenz des im Art. 57 ausgesprochenen
lapidaren Satzes gerade auf die Ausschließung persönlicher Vorrechte gerichtet
ist im Gegensatz zu den Ausschließungsgründen, die auf Mangel der körper-
lichen Leistungsfähigkeit und sittlichen Qualifikation beruhen, deren nähere
Feststellung von Hause aus der Ausführungsgesetzgebung überlassen wurde
und die Geltung des im Art. 57 kund gegebenen Prinzips nicht berührt.
Aber die genannten Privilegien waren bereits in der preußischen Militär-
gesetzgebung enthalten, und da diese durch Art. 61 R.V. in Pausch und
Bogen rezipiert ist, so sind auch die fraglichen Privilegien durch die Ver-
fassung gedeckt. Die bei der Beratung des Gesetzes v. 9. Nov. 1867 im
Reichstag erörterte Frage, ob die das Privileg für die vormals unmittel-
baren deutschen Reichsstände und ihre Familien begründende Bestimmung
des Art. XIV der Deutschen Bundesakte v. 8. Juni 1814 den gesetzgebenden
Organen des Reichs die Verpflichtung auferlegte, dieses Privileg anzuerkennen
oder ob der Rechtstitel für die Reichsunmittelbaren durch die Auflösung
des alten Bundes erloschen war, kann dahin gestellt bleiben, weil jetzt das
Privileg, sei es mit oder ohne juristische Notwendigkeit, gesetzlich anerkannt
ist; vgl. Reichstagsverhandlungen von 1867 St.B. 463, 471 f. üÜbrigens
ist die statuierte Ausnahme im Hinblick auf die geringe Zahl der in Betracht
kommenden Personen für die Leistungsfähigkeit der Armee ebenso belanglos
als sie unter politischen Gesichtspunkten für die Aufrechterhaltung des
Prinzips ohne Schaden ist, da die in Frage stehenden Persönlichkeiten auch
auf anderen Rechtsgebieten, für die sonst durchaus der Grundsatz der Gleich-
berechtigung gilt (bürgerliches Recht, Rechtsweg usw.), eine Ausnahmestellung
genießen; vgl. auch v. Rönne II 2 S. 196 A. 1 und v. Seydel S. 315 ff.
Eine weitere auf politischen Gründen beruhende Ausnahme von der
Wehrpflicht besteht für die von der Insel Helgoland stammenden Personen
und ihre vor d. 11. August 1890 geborenen Kinder auf Grund des Ges.
betr. die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen Reich v. 15. Dez.