XI. Reichskriegswesen. Art. 62. 595
Einzelstaaten zur Reichskasse einzuzahlenden und damit dem Kaiser zur Ver-
fügung zu stellenden, nach der Kopfzahl der Friedenspräsenz und dem Ein-
heitssatz von 675 MA fixierten Summe eine Ausnahms-Einrichtung geschaffen
worden, die für den Etat keiner anderen Verwaltung des Reichs ein Analogon
findet. Es ist in Zweifel gezogen worden, ob die Bestimmung des Art. 62
noch in Kraft ist oder ihre Erledigung mit dem seit 1874 beendeten Über-
gangszustand gefunden hat. Für die Geltung der Bestimmung ist u. a.
Laband IV S. 88, Arndt S. 515, Preuß Friedenspräsenz S. 58, v. Savigny,
die Friedenspräsenz des Deutschen Heeres Arch. f.öff. K. Bd. 3 S. 203 ff.
245 ff., Jehrle daselbst Bd. 17 S. 271; dagegen u. a. v. Rönne II 1
S. 177, v. Seydel S. 338, 342ff., Zorn II. S. 536, Meyer § 209 A. 11.
Der ersteren Ansicht ist beizutreten. Eine Ubergangsvorschrift enthält nur
Abs. 1 des Art. 62. Die Bestimmung des Abs. 1 bezieht sich in Korrespon-
denz mit Art. 60 auf diejenige Zeit, die auch im Sinne des Art. 60 eine
Übergangsperiode darstellen sollte, nämlich auf die Zeit, für welche die
Friedenspräsenzstärke durch die Verfassung selbst festgestellt wurde, und beide
Vorschriften stehen in Ansehung ihrer zeitlichen Dauer im Einklang mit
Art. 71 Abs. 2. Dagegen wird im Abs. 2 des Art. 60 ohne Klausel und
ohne Einschränkung bestimmt, daß nach dem 31. Dez. 1871 diese Beiträge
von den Einzelstaaten fortgezahlt werden müssen. Ihre Berechnung erfolgt
solange nach der durch Art. 60 festgesetzten Kopfzahl, bis die Friedens-
präsenz durch ein Reichsgesetz abgeändert ist und dann natürlich, wie zu
ergänzen ist, nach der neu festgestellten Zahl. Denn ohne diese Ergänzung
würde die Bestimmung des 1. Satzes des Abs. 2 inhaltslos sein, weil
es für die Berechnung der Beiträge an dem Faktor der Kopfzahl fehlen
würde, mit dem der Einheitssatz zu vervielfachen ist. Mit dem Standpunkt
aber, daß die Fortzahlung der Beiträge nur bis zur anderweiten Feststellung
der Friedenspräsenz zu erfolgen habe, ist der Wortlaut des Art. 60 unver-
einbar. Eine Bestätigung ergibt sich aus den Verhandlungen des konst.
Reichstags St. B. 1867 S. 716ff, 723. Denn die Verbündeten Regierungen
nahmen diese auf einem Amendement der Abg. Herzog v. Ujest und v. Bennigsen
beruhende Bestimmung als ein Aquivalent an für die dem Reichstag gemachte
Konzession, daß die Friedenspräsenz zunächst nicht dauernd festgelegt wurde.
Ohne diese Auffassung würde aber natürlich kein Aquivalent im Art. 62
liegen, weil dann gerade mit dem Erlöschen der verfassungsmäßigen Fest-
legung der Friedenspräsenz auch die Beitragspflicht aufgehört hätte.
Richtig ist, daß seit 1874 die Beiträge nicht mehr gezahlt und auch
nicht mehr in Rechnung gestellt werden und daß der Militär--Etat seit dieser
Zeit in stetig wachsender Progression über den Einheitssatz von 675.4/ pro
Jahr und Kopf hinausgeht. Ungerechnet die einmaligen Ausgaben des
ordentlichen Etats und ungerechnet die Ausgaben des außerordentlichen Etats,
betragen die fortdauernden Ausgaben des ordentlichen Etats von 1909 für
die Heeresverwaltung — einschließlich der Bayerischen Quote — rund 671
Millionen, während bei einer Präsenz von rund 500 000 Mann die nach
Art. 62 zu zahlenden Beiträge sich nur auf 337½ Millionen belaufen würden.
Mit diesen Beiträgen allein könnte also der Aufwand für die Armee — auch
bei größter Einschränkung — nicht bestritten werden, aber die Beiträge
brauchen auch nur als Zuschuß zu den eigenen Einnahmen des Reichs auf-
gefaßt zu werden. Kommt das Etatsgesetz zustande, so ist die Frage gegen-
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