54 II. Reichsgesetzgebung. Art. 2.
beginnen müsse, wo der Irrtum entstanden sei; demgemäß sei für die
Berichtigung bei einem Fehler der Verkündigung der Reichskanzler, bei
einem Fehler der Ausfertigung der Kaiser, bei einem Fehler im Beschlusse
des Bundesrats der letztere und bei einem Fehler im Beschlusse des Reichs-
tags der Reichstag zuständig. Auch Laband verlangt aber in dem letzeren,
praktisch häufigsten Falle nicht ein Reichsgesetz, sondern nur eine Resolution
des Reichstags, für die das Verfahren im einzelnen noch durch die Geschäfts-
ordnung des Reichstags zu regeln wäre.
Die Praxis hat sich, wie oben dargelegt, dieser Auffassung nicht an-
geschlossen, sondern dem Reichstag gegenüber das Recht in Anspruch
genommen, zweifellose Redaktionsfehler ohne Rücksicht darauf, in welchem
Stadium der Entstehung des Gesetzes der Fehler entstanden ist, durch eine
einfache, im Reichsgesetzblatt zu veröffentlichende Erklärung des Reichskanzlers
berichtigen zu dürfen. Das Reichsgericht (1. Es. Urt. v. 16. Febr. 1898
Bd. 41 S. 34) hat den Standpunkt der Reichsverwaltung geteilt.
Der Ansicht Labands, der sich von dem Grundsatz leiten läßt, daß eine
Erklärung von rechtlicher Bedeutung zur Beseitigung eines Irrtums nur
von demjenigen berichtigt werden darf, der sie selbst abgegeben hat, stehen
alle Gründe der Rechtslogik zur Seite, aber einer Berichtigung in dem
Sinne, daß das Gesetz infolge der Berichtigung einen anderen Wortlaut
erhält, wird es in der Regel überhaupt nicht bedürfen, sondern es wird in
den meisten Fällen für den praktischen Gebrauch sowohl der Gerichte wie
der Verwaltungsbehörden als auch der dem Gesetz unterworfenen Privat-
personen eine einfache Erklärung von autoritativer Stelle genügen, daß die
durch einen Redaktionsfehler finnwidrige Stelle ohne diesen Fehler so und
so gelautet haben würde. Ist der irrtümlich beschlossene Gesetzestext freilich
derart, daß dadurch das Gesetz nicht finnwidrig wird, aber eine ganz andere
Bedeutung erhält, als gewollt war, daß dadurch andere Rechte und Pflichten
begründet werden, als in der Absicht der Gesetzgeber lag, so wird allerdings
eine einfache Berichtigungserklärung des Reichskanzlers nicht ausreichen,
schon deshalb nicht, weil dadurch die in der Zwischenzeit auf Grund des
falschen Textes gutgläubig begründeten Rechte und Pflichten in Zweifel
gestellt werden könnten. Dann nützt aber auch eine Resolution des Reichs-
tags nichts, für deren Wirksamkeit zur Beseitigung von Irrtümern dieser
Art es überhaupt an einer verfassungsmäßigen Grundlage fehlt, sondern
dann bleibt nur übrig, daß der Weg der Gesetzgebung von neuem beschritten
wird. Nur selten werden Irrtümer dieser Art vorliegen, vielmehr dürfte
es sich in den meisten Fällen um einzelne Worte handeln, die durch Schreib-
oder Druckfehler abgeändert sind und die in ihrer abgeänderten Form für
sich allein dem Gesetz gar keinen anderen Sinn geben können. Wenn es
zur größeren Sicherheit überhaupt für notwendig gehalten wird, eine Be-
richtigung zu geben, so dürfte die bisher übliche Erklärung des Reichs-
kanzlers, also eine Außerung des Chefs der Reichsverwaltung über das,
was die gesetzgebenden Faktoren bezüglich der nach ihrem Wortlaut finn-
widrigen Stelle des Gesetzes beabsichtigt haben, für die Gerichts= und Ver-
waltungsbehörden genügend Autorität besitzen, um falsche Auslegungen
auszuschließen, und es ist nur eine Verstärkung dieser Sicherheitsmaßregel,
wenn, wie es in den letzten, vom Staatssekretär Freih. v. Stengel erörterten
Fällen geschehen ist, dem Reichstag überdies eine — allerdings nachträgliche