616 XI. Reichskriegswesen. Art. 68.
III. Die Form der Verkündigung des Kriegszustandes.
IV. Die Wirkungen des Kriegszustandes.
V. Die Verantwortlichkeit für die Erklärung des Kriegszustandes.
I. Die Kompetenz zur Erklärung des Kriegszustandes.
Nach Art. 68 ist es der Kaiser, der das Recht zur Erklärung des
Kriegszustandes besitzt. Es ist in der Literatur fast allseitig anerkannt,
daß den Landesherren dieses Recht nicht mehr zusteht, auch wenn es für
sie in der Landesverfassung oder sonstigen Landesgesetzgebung vorgesehen ist;
so u. a. Laband IV S. 45, v. Seydel S. 379, Hänel Staatsrecht I S. 440,
Arndt 475, Bornhak Preußisches Staatsrecht Ull S. 131, Brockhaus das
deutsche Heer S. 79ff. Für die ausschließliche Kompetenz des Kaisers wird
mit Recht angeführt, daß die Erklärung des Kriegszustandes ein Ausfluß
des militärischen Oberbefehls ist und daß auf diesem Gebiet eine mit
den Rechten des Kaisers konkurrierende Einwirkung den Bundesfürsten nicht
zusteht. Die Verbindung der Erklärung des Kriegszustandes mit dem
militärischen Oberbefehl ergibt sich aus der Stellung des Art. 68 im
XI. Abschnitt der Verfassung sowie daraus, daß nach der Verfassung des
Norddeutschen Bundes, in welcher noch die militärischen und die nicht
militärischen Funktionen des Königs von Preußen durch die Bezeichnung
„Bundesfeldherr“ und „Bundespräfidium“ unterschieden waren, das Recht
zur Erklärung des Kriegszustandes, wie es durch Art. 68 festgestellt ist,
dem „Bundesfeldherrn" übertragen war. Der für die Ausschließlichkeit
der Befugnis des Kaisers ferner angeführte Umstand, daß die Erklärung
des Kriegszustandes eine zeitweilige Suspendierung gewisser Reichsgesetze
zur Folge habe und daß durch die Regierung eines Einzelstaats die Geltung
der Reichsgesetzgebung nicht gehemmt werden dürfe, ist aus den von Arndt
S. 475 hervorgehobenen Gründen zweifelhaft und kann außer Betracht bleiben.
Die Landesherren bedürfen der Kompetenz zur Erklärung des Kriegszustandes
auch nicht, weil für alle, ihr Territorium ausschließlich betreffenden Unruhen
das ihnen durch Art. 66 Abs. 2 R.V. verliehene Recht, zu polizeilichen
Zwecken nicht bloß ihre eigenen, sondern auch alle anderen in ihrem Gebiete
dislozierten Truppen zu verwenden, praktisch genügen dürfte. Andererseits
ergibt sich daraus, daß nicht einmal dieses Recht der Requirierung von
Truppen zu polizeilichen Zwecken als selbstverständlich oder aus der Landes-
verfassung folgend angesehen, sondern durch eine besondere Bestimmung der
Reichsverfassung reserviert wurde, daß die viel weiter gehende Befugnis zur
Erklärung des Kriegszustandes ohne ein entsprechendes Reservat der Reichs-
verfassung — an dem es fehlt — den Landesherren nicht vindiziert werden
kann. Der entgegengesetzte Standpunkt, der u. a. von v. Rönne I S. 87
und den bei Arndt S. 475 A. 1 genannten Schriftstellern vertreten wird,
ist meistens darauf gestützt, daß die entsprechenden Bestimmungen der Landes-
verfassungen nicht ausdrücklich aufgehoben sind. Die Aufhebung liegt jedoch
schon in der auf Art. 63, 64 R.V. beruhenden Tatsache, daß der militärische
Oberbefehl auf den Kaiser übergegangen ist. Auf Bayern erstreckt sich —
in Friedenszeiten — der militärische Oberbefehl nicht. Es ist deshalb nur
konseguent, daß unter III § 5 VI des Bündnisvertrages v. 23. Nov. 1870
bestimmt wurde: