620 XI. Reichskriegswesen. Art. 68.
Kriegsgerichte der Armee geregelt, offenbar mit Rücksficht auf die besonderen
Bedingungen, unter denen ihre Tätigkeit sich vollzieht; z. B. kommt hier die
Konkurrenz mit den Civilgerichten in Betracht und es ist dem Umstand,
daß die Gerichtsbarkeit sich auch auf Civilpersonen erstreckt und dem besonderen
Bedürfnis nach Beschleunigung, das in der gefahrdrohenden politischen
Lage begründet ist, Rechnung getragen. An diesen Ursachen für besondere,
von der gewöhnlichen Militär-Gerichtsverfassung abweichenden Einrichtungen
hat sich nichts geändert. Deshalb ist anzunehmen, daß die Einrichtung
der durch das Ges. v. 4. Juni 1851 erforderten Kriegsgerichte von der Ein-
richtung der gewöhnlichen Militärgerichte jetzt so unabhängig ist, als früher.
Nach denselben Grundsätzen würden in den außerpreußischen Bundesstaaten
— abgesehen von Bayern — die Kriegsgerichte für den Fall der Erklärung
des Kriegszustandes zu bilden sein.
V. Die Verantwortlichkeit für die Erklärung des Kriegszustandes.
Gemäß § 17 des Ges. v. 1851 muß über die Erklärung des Belagerungs-
zustandes oder über die im Falle eines Krieges oder Aufruhrs ohne Er-
klärung des Belagerungszustandes angeordnete Suspenfion von Verfassungs-
bestimmungen den Kammern sofort bez. bei ihrem nächsten Zusammentreten
„Rechenschaft“ gegeben werden. Diese Rechenschaftspflicht bedeutet nur, daß
die Regierung über die getroffenen Maßregeln und ihre Ursachen dem Land-
tag, bez. nunmehr die Reichsverwaltung dem Bundesrat und Reichstag
Aufklärung zu geben hat und daß Bundesrat und Reichstag die Maßregeln
zum Gegenstand einer Kritik machen dürfen. Dagegen ist die nachträgliche
Genehmigung der gesetzgebenden Faktoren nicht erforderlich und an ihre
Mißbilligung der getroffenen Maßregeln knüpfen sich keine Rechtsfolgen.
Dies muß mangels einer auf das Erfordernis der Genehmigung des Land-
tags hinweisenden Bestimmung des preuß. Gesetzes angenommen werden.
Insbesondere ist das Schweigen des Gesetzes bedeutungsvoll im Hinblick
auf Art. 63 der preuß. Verf. Urk., weil dort für den auf demselben Gebiet
liegenden Fall, daß zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder
zur Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes Verordnungen mit Gesetzes-
kraft erlassen werden, die Genehmigung des Landtags für erforderlich erklärt ist;
vgl. die Verhandlungen der preußischen Ersten Kammer v. 1851 St. B. 217,
Arndt S. 478, v. Rönne ! S. 83 A. 7a. Auch diese Bestimmungen des preuß.
Gesetzes gelten für das Reichsrecht analog, weil durch Art. 68 R.V. das
preuß. Gesetz in seiner Totalität rezipiert ist; aber selbst wenn man die
Übernahme des preuß. Gesetzes nur soweit anerkennen will, als es die Vor-
aussetzungen, die Verkündigung und die Wirkungen der Erklärung des Kriegs-
zustandes aufrecht erhält, so kann die Bestimmung des § 17 des preuß. Ges. unter
den Begriff der Wirkungen der Erklärung des Kriegszustandes gerechnet werden;
als Nebenwirkung tritt die Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament ein.
Der Reichskanzler trägt die Verantwortung, ungeachtet dessen, daß es sich um
eine Angelegenheit des militärischen Oberbefehls handelt, wenn die Erklärung
des Kriegszustandes von ihm ausgeht oder von ihm gegengezeichnet ist. Sonft
sind die betreffenden Militärbefehlshaber persönlich verantwortlich, wie für
Elsaß-Lothringen durch das Ges. v. 30. Mai 1892 besonders vorgeschrieben ist.
Aus diesem Gesetz (5. Abs.) ergibt sich auch eine Bestätigung dafür, daß der
Bundesrat und Reichstag an die Stelle des preuß. Landtags getreten sind.