Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XII. Reichsfinanzen. Art. 69. 625 
scheidung für die Anwendung des Art. 70 von Bedeutung, weil nach dieser 
Bestimmung die Uberschüsse aus den Vorjahren nur zur Deckung der Aus- 
gaben der außerordentlichen Etats zu verwenden sind. In den Denkschriften 
zum Etat für die Rechnungsjahre 1901 und 1907 find für die Unter- 
scheidung in Ausgaben des ordentlichen und außerordentlichen Etats all- 
gemeine Grundsätze aufgestellt; vgl. Art. 73 II. Danach dürfen fortdauernde 
Ausgaben überhaupt nicht auf den außerordentlichen Etat verwiesen werden, 
und die Unterscheidung einmaliger und fortdauernder Ausgaben ist nur davon 
abhängig, ob das Bedürfnis, auf das sie unmittelbar zurückzuführen find, 
fortdauert bez. regelmäßig wiederkehrt oder nur einmal, bez. wenigstens nur 
in unregelmäßigen Zwischenräumen auftritt, nicht aber kann es darauf an- 
kommen, ob der allgemeine Verwendungszweck der Ausgaben stets derselbe 
bleibt. Danach fallen z. B. Bauten im allgemeinen unter den Begriff der 
einmaligen Ausgaben, ebenso die besonderen Ausgaben, die durch die erst- 
malige Ausrüstung und Bewaffnung von Truppen entstehen, die Kosten für 
die Erneuerung der Ausrüstung und Bewaffnung dagegen, auf deren stetige, 
gleichmäßige Wiederkehr gerechnet werden muß, unter den Begriff der fort- 
dauernden Ausgaben; vgl. Schwarz und Strutz 1 1 S. 71 und Bericht der 
Rechnungskommission Anlagen der 11. Leg.-Per. Bd. 8 S. 4277 ff. Nr. 755. 
Im Etat wird durch dessen Uberschriften die Unterscheidung als gegeben 
vorausgesetzt; sie findet eine gewisse Stütze im Art. 73, weil dort das 
„Bedürfnis“ zur Quelle der Unterscheidung gemacht ist und weil der dort 
angewendete Begriff des „außerordentlichen Bedürfnisses“ seine Erklärung 
nur in dem Gegensatz zu dem ordentlichen, d. h. dauernd und regelmäßig 
wiederkehrenden Bedürfnis finden kann. Unter „Bedürfnis“ ist der un- 
mittelbare Verwendungszweck zu verstehen, also bei einem Festungs= oder 
Kasernenbau das Bedürfnis nach dieser baulichen Anlage, dem genügt ist, 
sobald die Anlage fertiggestellt ist, nicht aber etwa das Bedürfnis der 
Landesverteidigung, dem im weiteren Sinne alle Militärausgaben dienen, 
und das natürlich ständig besteht; vgl. Bericht der Kommission für den 
Reichshaushaltsetat v. 5. Mai 1904 Anl. der 11. Leg.-Per. Sess. 1 Bd. 8 
S. 2344 f. Nr. 408. Diese Grundsätze geben nur einen ungefähren Anhalt 
und die Reichsverwaltung hat sich selbst nicht immer daran gebunden. Im 
Etat für 1905 sind z. B. die Kosten für die Ergänzung der Bewaffnung 
des Heeres mit einem Gesamtbetrage von 46 ¼ Millionen Mark, die nach 
den i. J. 1901 aufgestellten Regeln dem ordentlichen Etat hätten überwiesen 
werden müssen, mit Rücksicht auf die finanziellen Schwierigkeiten des Reichs, 
um die Möglichkeit einer Deckung durch Anleihe zu geben, auf den außer- 
ordentlichen Etat übernommen worden; vgl. die Ausführungen des Staats- 
sekretärs des Reichsschatzamts Frhr. v. Stengel in der Reichstagssitzung v. 
3. Dez. 1904 St.B. 3335. 
Die Einnahmen find im Etat nach Verwaltungszweigen gruppiert, und 
zwar werden nur die Nettobeträge ausgeworfen, also z. B. die Steuern und 
Zölle nach Abzug der den Einzelstaaten für die Erhebung und Verwaltung 
zu gewährenden Vergütungen. Die Matrikularbeiträge werden unter die 
Einnahmen mit ihrem anschlagsmäßigen Nettobetrage aufgenommen und 
unter den Ausgaben werden die Überweisungen verzeichnet. Der komplizierte 
gegenseitige Abrechnungsverkehr zwischen Reich und Einzelstaaten findet im 
Etat keinen anderen Ausdruck. 
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung. 40
	        
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