56 II. Reichsgesetzgebung. Art. 2.
Vorschrift über die Verkündigung der Verordnungen, und deshalb hat der
Bundesrat für die Verkündigung freie Hand. Für kaiserliche Verordnungen
ist durch Verordnung v. 26. Juli 1867 B. G. Bl. S. 24 die Verkündigung im
R.G. Bl. vorgeschrieben.
Tatsächlich entspricht es der langjährigen, durch das Reichsgericht wieder-
holt als richtig anerkannten staatsrechtlichen Praxis, daß Verordnungen des
Bundesrats in großem Umfang auch im Centralblatt für das Deutsche Reich
verkündigt werden. Das Centralblatt ist nach der im Reichsanzeiger Jahr-
gang 1872 Nr. 304 erfolgten Bekanntmachung des Reichskanzleramts v.
22. Dez. 1872 „eine Zeitschrift, welche in Ausführung eines vom Bundes-
rat gefaßten Beschlusses herausgegeben worden und zur Aufnahme solcher
für das Publikum bestimmter Veröffentlichungen der Organe des Reichs
dienen soll, die der Verkündigung durch das Reichsgesetzblatt nach Art. 2
R.V. und nach der Verordnung v. 26. Juli 1867 nicht bedürfen“. Aus
dieser Zweckbestimmung des Centralblattes geht hervor, daß das Central-
blatt nicht eine beliebige periodische Zeitschrift, sondern ein amtliches Ver-
ordnungsblatt ist, das unter der Redaktion einer obersten Reichsbehörde
steht und das deshalb geeignet ist, wie das Reichsgericht Bd. 40 S. 76 aus-
gesprochen hat, „dem Zweck der amtlichen Verkündigung, d. h. der Ermög-
lichung allgemeiner und zuverlässiger Kenntnisnahme zu genügen“. Von
Laband II S. 101 ist eingewendet worden, es bestehe keine staatsrechtliche
Verantwortlichkeit für den Inhalt des Centralblattes, und niemand sei recht-
lich verpflichtet, von dem Inhalt des Centralblattes Kenntnis zu nehmen;
es genüge nicht, daß die Behörden von Rechtsverordnungen Kenntnis
erlangten; dem Publikum gegenüber würden die Verordnungen durch den
Abdruck im Centralblatt mehr verheimlicht als verkündigt. Hierauf ist zu
bemerken, daß es sich bei der Einrichtung und Redaktion des Centralblatts
um die dem Reichskanzler obliegende Ausführung eines Bundesratsbeschlusses
handelt und daß deshalb der Reichskanzler für die Redaktion des Central-
blattes dieselbe Verantwortung trägt wie für seine anderen Amtsgeschäfte.
Ferner ist zwar niemand rechtlich verpflichtet, das Centralblatt zu lesen —
abgesehen von den Behörden, zu deren Amtspflichten dies etwa gehört —,
dasselbe gilt aber auch von den anderen amtlichen Verordnungsblättern,
und es genügt zur Wahrung des sogen. Publikationsprinzips, wonach Gesetze
und Verordnungen den Untertanen gegenüber nur wirksam sind, soweit sie
öffentlich bekannt gemacht (verkündigt) sind, daß durch die Veröffentlichung
der Verordnung im Centralblatt jedermann die Möglichkeit geboten ist,
sie kennen zu lernen; in welchem Umfange davon tatsächlich Gebrauch
gemacht wird, ist unerheblich. Seit der Einrichtung des Centralblattes sind
dort Verordnungen des Bundesrats und des Reichskanzlers in großer Zahl
abgedruckt worden, darunter sogar solche, die Strafbestimmungen enthalten,
z. B. die Regulative und Ausführungsbestimmungen zu den Reichs-Zoll-,
Steuer- und Stempelgesetzen. An der Rechtsgültigkeit dieser Vorschriften
ist aus der Praxis kein Zweifel bekannt geworden, und wenn man davon
ausgeht, daß sie gehörig verkündet sind, so ist auch die Annahme hinfällig,
daß sie mangels der für jede Rechtsvorschrift nach allgemeinen Grundsätzen
erforderlichen Verkündigung nur Vorschriften seien, die lediglich an die
Behörden gerichtet sind, um deren inneren Geschäftsgang zu regeln, und
nur die Behörden, nicht auch das Publikum verpflichten. Diesen Schluß