II. Reichsgesetzgebung. Art. 2. 57
haben die Vertreter der gegenteiligen Ansicht gezogen und von ihrem Stand-
punkt aus die Gültigkeit der im Centralblatt veröffentlichten Verordnungen
so weit bestritten, daß aus ihnen für die Untertanen weder Rechte noch
Pflichten begründet sein sollen. Der Schluß fällt mit der Voraussetzung,
auf der er aufgebaut ist, daß die Verkündigung im Centralblatt unzuläng-
lich sei. Was die praktische Seite der Frage angeht, so sei nur darauf
hingewiesen, daß wer sich für die Verordnung interesfiert, sie im Central-
blatt so gut einsehen kann wie im Gesetzblatt und daß die Ausführung des
von Laband vertretenen Standpunkts zu einer Überlastung des Reichsgesetz-
blatts führen würde.
Anordnungen, die der Kaiser in Ausübung seines militärischen Ober-
befehls über Heer und Marine erläßt, werden im Armee= bez. Marine-
Verordnungsblatt verkündet.
Besondere Vorschriften sind reichsgesetzlich noch erlassen für die Ver-
kündigung der Polizeiverordnungen in den Schutzgebieten, in den Konsular-
Jurisdiktionsbezirken und in den Kriegssachenbezirken, vgl. die Gesetze v.
10. Sept. 1900 R.G.Bl. S. 813 § 11 Abs. 3; v. 7. April 1900 R.G.Bl.
S. 213 § 29 und v. 19. Juni 1883 R. G. Bl. S. 106 82 Abs. 2.
Für die Ausführungsverordnungen zu Reichsgesetzen, deren Erlaß den
Einzelstaaten übertragen ist, richten sich die Formen der Verkündigung nach
den Vorschriften des Landesstaatsrechts; ebenso Laband II S. 102.
IV. Der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Reichsgesetzc.
1. Innerhalb des Bundesgebiets.
Die Bestimmung des Art. 2 über den Anfangstermin der Wirksamkeit
des verkündeten Reichsgesetzes bedeutet, daß die Gültigkeit der Reichsgesetze
keineswegs davon abhängt, ob das Gesetz bekannt geworden ist oder auch
nur bekannt werden konnte. Denn die Frist von 14 Tagen kann unter
Umständen zu kurz sein, um die vollständige Verbreitung des Reichsgesetz-
blatts möglich zu machen. Auch kann in dem Gesetz selbst, da die Frist-
bestimmung des Art. 2 nur fakultativ ist, der Anfangstermin der verbind-
lichen Kraft des Gesetzes dem Tage der Ausgabe des Reichsgesetzblattes so
nahe gerückt sein, daß selbst unter normalen Verhältnissen nicht die Mög-
lichkeit gegeben ist, von dem Inhalt des Gesetzes Kenntnis zu erhalten, ehe
es in Kraft tritt. Der Schutz, der durch die Bestimmung des § 2 des
Reichsstrafgesetzbuchs gegeben werden soll — daß eine Handlung nur mit
Strafe belegt werden kann, wenn die Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor
die Handlung begangen wurde —, kann hierdurch illusorisch gemacht werden,
da es von geringer praktischer Bedeutung ist, wenn die Strafbestimmung
zwar erlassen, aber nicht bekannt geworden sein muß, bevor eine Handlung
strafbar werden kann.
Da es nicht notwendig ist, daß das Gesetz vor seinem Inkrafttreten
bekannt geworden ist, andererseits nach Art. 2 die anderweitige Bestimmung
der Frist ohne Einschränkung zugelassen ist, so steht nichts im Wege, daß
der Beginn der Wirksamkeit des Gesetzes auf denselben Tag verlegt wird,
an dem das betreffende Stück des Reichsgesetzblatts in Berlin ausgegeben
worden ist; ebenso Laband II S. 75, Arndt, Kommentar S. 89.