Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

648 XII. Reichsfinanzen. Art. 70. 
Art. 69 X S. 637). Ferner war die Anschauung maßgebend, daß ohne das 
Franckensteinsche System die Reichsverwaltung mit ihren eigenen Einnahmen 
im Uberschuß sich befinden würde und daß es schwer sei, Ausgaben zu 
verweigern, wenn die Mittel zu ihrer Bestreitung in den eigenen Einnahmen 
des Reichs gegeben seien. Richtig ist allerdings, daß die Position für die 
Ablehnung von Ausgaben stärker ist, wenn die gesetzgebenden Faktoren in 
der Lage sind darauf hinzuweisen, daß ohne Inanspruchnahme der Einzel- 
staaten die Ausgabe nicht geleistet werden kann. Aber um dem Bundes- 
rat und Reichstag dieses Argument zu geben, ist es keineswegs nötig, daß das 
Finanzsystem des Reichs auf ungedeckte Matrikularbeiträge zugeschnitten ist; 
vgl. den Bericht der Reichskommission für den Reichshaushalt v. 5. Mai 
1904 Anl. der 11. Leg.-Per. Sess. 1 Bd. 3 S. 2342. Auch wenn nur Matri- 
kularbeiträge erhoben werden, die durch die Überweisungen gedeckt find, 
behalten die Einzelstaaten das fiskalische Interesse an sparsamer Wirtschaft 
im Reich, weil wenn im Reich zu viel ausgegeben wird, es ihnen an 
Uberweisungen verloren geht. Ferner bedarf der Reichstag, um bei der 
Ablehnung von Ausgaben nicht den Einwand zu hören, daß die Mittel 
dazu in den ordentlichen Einnahmen des Reichs vorhanden seien, nicht 
eines Matrikularumlagen= und Überweisungssystems in dem Umfange, wie 
es früher durch die Franckensteinsche Klausel in Verbindung mit dem Brannt- 
weinsteuer= und Stempelgesetz eingerichtet war; ehe dieses System durch die 
Gesetze von 1904 und 1909 eingeschränkt wurde, waren Matrikularbeiträge 
und Uberweisungen auf über eine halbe Milliarde Mark für ein Etatsjahr 
gestiegen, die zwecklos in den Büchern hin-- und hergeschoben wurden und 
höchstens dazu dienten den Reichsetat zu verdunkeln; vgl. die Erklärung des 
Staatssekretär des Reichsschatzamts Frhr. v. Stengel in der Reichstagssitzung 
v. 9. Dez. 1903 St. B. 19. Seit dem Gesetz von 1904 find die Über- 
weisungen auf die Branntweinsteuer (Verbrauchsabgabe und Materialsteuer) 
sowie auf die Reichsstempelabgaben von Aktien, Kuxen, Renten-= und 
Schuldverschreibungen, Kauf= und sonstigen Anschaffungsgeschäften und 
Lotterielosen und seit dem Gesetz von 1909 nur auf die Branntweinsteuer 
beschränkt; die Einschränkung von 1909 wurde durch die Erhöhung der 
Branntweinsteuer ausgeglichen. Es handelt sich noch um etwa 200 Millionen 
jährlich; gegenüber dieser Summe sind die Abstriche, die der Reichstag an 
dem ordentlichen Etat vorzunehmen pflegt, sehr gering; sie betrugen nach 
einer der Reichstagskommission für den Reichshaushalt laut derem Bericht 
v. 5. Mai 1904 vorgelegten, bis auf das Etatsjahr 1880/81, zurückreichenden 
Zusammenstellung 6 ½ Millionen Mark für den Jahresdurchschnitt, wobei 
die Abstriche der fortdauernden und einmaligen Ausgaben des ordentlichen 
Etats — nur um diesen handelt es sich — zusammengerechnet find; vol. 
Anl. der 11. Leg.-Per. Sess. 1 Bd. 3 S. 2340 und die Ausführungen des 
Staatssekretärs des Reichsschatzamts Frhr. v. Stengel in der Reichstags- 
sitzung v. 11. Dez. 1904 St. B. 95 sowie des Finanzministers Frhr. v. Rhein- 
baben in der folgenden Sitzung St.B. 114. 
Auch die im § 3 des Ges. v. 21. Juni 1906 vorgesehene Stundung 
der ungedeckten Matrikularbeiträge berührte deren konstitutionelle Bedeutung 
nicht; sie war nichts als eine einfache Rücksichtnahme auf die Einzelstaaten, 
namentlich auf die finanziell weniger leistungsfähigen unter ihnen; ihr 
Budget sollte vor plötzlichen Schwankungen, wie sie sich aus dem unvorher-
	        
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