58 II. Reichsgesetzgebung. Art. 2.
Noch weiter wird man allerdings nicht gehen dürfen; da es ein all—
gemeiner, auch durch Art. 2 zum Ausdruck gebrachter Grundsatz ist, daß
Gesetze nur durch ihre Verkündigung verbindliche Kraft erhalten, kann das
Gesetz nicht vor der Verkündigung in Kraft gesetzt werden. Dies ergibt sich
auch daraus, daß in dem letzten Satz des Art. 2 in dem Zusammenhang,
in welchem die Zulässigleit einer abweichenden Bestimmung des Anfangs-
termins der Geltung ausgesprochen wird, gleichzeitig bemerkt ist, daß dies
nur in einem „publizierten“ Gesetze geschehen kann, daß also das Gesetz
publiziert sein muß, ehe es in Kraft tritt. Doch schließt dieser Umstand
nicht aus, daß wenn es dann verkündigt und in Kraft gesetzt ist, ihm in
einzelnen Beziehungen aus besonderen Gründen rückwirkende Kraft verliehen
werden kann; ebenso Arndt S. 176 — pgl. z. B. aus neuerer Zeit das
Militärhinterbliebenengesetz v. 17. Mai 1907 § 55 R. G. Bl. S. 232, das
Gesetz betr. Anderungen des Reichsbeamtengesetzes vom gleichen Tage Art. 2
R. G. Bl. S. 206 und das Besoldungsges. v. 15. Juli 1909 § 47 R. G. Bl.
S. 584.
Im allgemeinen treten die Reichsgesetze im ganzen Bundesgebiet gleich-
zeitig in Kraft. Eine Ungleichmäßigkeit kann vorkommen, wenn, wie es
bisweilen geschehen ist, den Einzelstaaten überlassen wird, sei es durch
Landesgesetz oder Verordnung, das Reichsgesetz in ihrem Gebiet noch vor
oder auch erst nach dem reichsgesetzlichen Termin in Kraft treten zu lassen.
Natürlich kann durch das Reichsgesetz auch dem Kaiser oder dem
Bundesrat Vollmacht erteilt werden, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu
bestimmen. Die Bestimmung darf, wenn dies im Gesetz vorbehalten ist,
dahin lauten, daß einzelne Teile des Gesetzes zu verschiedenen Zeiten in
Kraft treten — val. Arndt S. 176. Es entspricht z. B. oft dem praktischen
Bedürfnis, daß organisatorische Veränderungen in der Einrichtung der
Behörden, die das Gesetz mit sich bringt, bald wirksam werden, während
der Anfangstermin der Geltung der in demselben Gesetz enthaltenen ma-
teriellen Vorschriften einem späteren Zeitpunkt vorbehalten wird.
Die Bestimmung des dritten Satzes des Art. 2 über die Berechnung der
vierzehntägigen Frist ist dadurch zur Ausführung gebracht, daß nach § 2
der Verordnung v. 26. Juli 1867 B. G. Bl. S. 24 der Tag, an dem das
Bundesgesetzblatt in Berlin ausgegeben wird, auf dem Blatt zu vermerken
ist, und es ist ferner notwendig, auch ohne daß es in dieser Verordnung
oder anderwärts bestimmt ist, daß jedes Reichsgesetz, für welches der Anfangs-
termin seiner verbindlichen Kraft nicht anderweit bestimmt ist, mag es noch
so umfangreich sein, in einem Stück des Reichsgesetzblattes abgedruckt sein
muß, da andernfalls die vierzehntägige Frist nicht zu berechnen wäre —
vgl. Laband II S. 73.
2. Der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Reichsgesetze
außerhalb des Bundesgebietes.
über den Zeitpunkt, in welchem die für das Ausland erlassenen
Reichsgesetze dort in Kraft treten, enthält das Reichsrecht zwei Spezial-
bestimmungen. Für die Konsulargerichtsbezirke bestimmt § 30 des Ges. v.
7. April 1900 R.G.Bl. S. 219, daß neue Gesetze in den Konsulargerichts-
bezirken, die in Europa, in Agypten oder an der asiatischen Küste des
Schwarzen oder des Mittelländischen Meeres liegen, mit dem Ablaufe von