656 XII. Reichsfinanzen. Art. 71.
gesetzt wird, sondern nur die Beschränkung der Ausgabenbewilligung auf
ein Jahr für den Regelfall.
Im Regierungsentwurf war die Ausgabenbewilligung für die Dauer der
Legislaturperiode, die damals auf drei Jahre festgesetzt wurde, vorgesehen.
Dies war mehr logisch als das jetzige Verfahren. Denn für diese zeitliche
Grenze konnte geltend gemacht werden, daß jeder neu gewählte Reichstag im
staatsrechtlichen Sinne einen neuen Faktor im Verfassungsleben darstellt,
in dessen Machtsphäre nicht durch seinen Vorgänger eingegriffen werden
soll. Die Eingriffe, die auf den früher erlassenen Reichsgesetzen beruhen,
fsind nicht zu verhindern. In der Beteiligung des Reichstages an der
Finanzwirtschaft des Reichs liegt die eigentliche und hauptsächliche Stütze
seiner konstitutionellen Bedeutung, und hier ist es an sich möglich, jedem neu
gewählten Reichstage in gewissem Grade ein eigenes Machtgebiet zu erhalten.
Für die darüber hinausgehende Beschränkung der Bewilligung auf ein Jahr
kann man den allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkt anführen, daß
für manche Staatsaufgaben die finanziellen Bedürfnisse auf längere Zeit
nicht vorauszusehen sind. Doch gilt dies eher für Ausnahmefälle als für
das Gros der Ausgaben. Für letztere besteht, wenn auch nicht direkt, so-
doch indirekt eine Bindung des Reichstags, weil die meisten Ausgaben mit
der Ausführung der geltenden Reichsgesetze dergestalt in Verbindung stehen,
daß die Verweigerung der Ausgaben ein klarer Widerspruch gegen das
geltende Reichsrecht wäre; vgl. Art. 69 IV S. 626 f. und VII S. 628 ff.
II. Bewilligungen für längere Zeit.
Das Ziel, gewisse Staatsaufgaben oder Verwaltungszweige dem jähr-
lich wiederkehrenden Kampf um den Etat zu entziehen, kann auf zwei ver-
schiedenen Wegen verfolgt werden: entweder dadurch, daß der Ausgabebetrag
von vornherein für eine Reihe von Jahren festgestellt wird, oder dadurch,
daß mittels Gesetz nur festgestellt wird, welche tatsächlichen Einrichtungen
die Reichsverwaltung in einem gewissen Zeitraum zu fordern berechtigt ist;
dann bleibt die zahlenmäßige Feststellung der erforderlichen Ausgaben dem
jährlichen Etatsgesetz überlassen. Das erstere Verfahren ist nur einmal
angewendet worden, nämlich für die Kosten der Heeresverwaltung in der
Zeit bis Ende 1871 und auf Grund des Reichsges. v. 9. Dez. 1871 (R.G. Bl.
S. 411) noch bis Ende 1874; val. Art. 71 Abs. 2 und Art. 62 S. 594 f.
Hier war nicht nur die Friedenspräsenz, sondern auch für den einzelnen
Mann ein Pauschquantum gesetzlich festgestellt, sodaß die Aufstellung dieses
Teils des Etats ein einfaches Rechenexempel war und der Etat insoweit
den gesetzgebenden Faktoren nur zur Kenntnis vorgelegt wurde; vgl. die Aus-
führungen des Abg. Erxleben im konst. Reichstage, Sitzung v. S. April 1867
St. B. 626. Dagegen ist in den neueren Gesetzen über die Friedenspräsenz,
insbesondere in dem geltenden Gesetz v. 15. April 1905 R. G.Bl. S. 247
nur die Friedenspräsenzstärke und die Zahl der Kadres festgesetzt, jedoch
kein Einheitssatz für den einzelnen Mann. Ahnliches gilt für die Flotte nach
dem Flottengesetz v. 14. Juni 1900 R.G.Bl. S. 255; vgl. Art. 531 S. 558 f.,
Art. 60 I1 S. 584 ff., 69 VIII S. 631. In beiden Gesetzen (8 3 bez. 8 5) ist die
etatsmäßige Feststellung des finanziellen Bedarfs des Heeres und der Flotte
vorbehalten, aber der Reichstag würde sich mit sich selbst und mit einem
gültigen Reichsgesetz in Widerspruch setzen, wenn er die Bewilligung der