662 XII. Reichsfinanzen. Art. 73.
Kabinettsordre befreit werden kann. Die von dem Rechnungshof zu er-
teilende Entlastung oder deren Versagung ist von der des Bundesrats und
Reichstags unabhängig; vgl. Reichsgericht Cs. Bd. 13 S. 261.
Artikel 73.
In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses kann im Wege der
Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die übernahme einer
Garantie zu Lasten des Reichs erfolgen.
I. Der Begriff der Anleihe.
II. Der Fall eines außerordentlichen Bedürfnisses.
III. Der formale Weg der Anleihe.
IV. Die Haftung des Reichs.
V. Reichs-Schatzanweisungen.
I. Der Begriff der Anleihe.
Art. 73 will bestimmen, daß für die Aufnahme einer Anleihe, sowie
für die übernahme einer Garantie die Reichsverwaltung einer Ermächtigung
bedarf, die nur im Wege der Reichsgesetzgebung erteilt werden darf; vgl.
Laband IV S. 369. Die Übernahme von Garantien spielt in der Praxis
keine große Rolle, umsomehr gilt dies von der Anleihe. Wahrscheinlich ist
bei den Garantien namentlich an die Gewährung von Staatsgarantien für
Eisenbahnen gedacht, die vor der Gründung des Reichs noch öfter vorkamen.
Tatsächlich hat das Reich solche Garantien nicht übernommen, wohl aber
einige Garantien für Anleihen, die von ausländischen Staaten oder wirt-
schaftlichen Verbänden übernommen wurden; vgl. Ges. v. 11. Juni 1868
B. G. Bl. S. 33, Ges. v. 14. Nov. 1886 R. G. Bl. S. 301, Ges. v. 6. Juli
1890 R. G. Bl. S. 139. Der Begriff der Anleihe ist derselbe wie der des
Darlehns im Sinne des 8 667 B. G. B. Da andere vertretbare Sachen
als Geld für die Anleihe nicht in Betracht kommen, so kann man den
Begriff der Anleihe im Hinblick auf § 667 B. G. B. dahin feststellen, daß
der Reichsfiskus einen Vertrag schließt, des Inhalts, daß er Geld empfängt
mit der Verpflichtung die gleiche Summe zurückzuerstatten. Damit find
natürlich nicht die Formen erschöpft, in denen das Reich Schuldverbindlich-
keiten eingeht. Überall, wo Verpflichtungen für den Reichsfiskus über-
nommen werden, sei es auf Grund privatrechtlicher Kauf., Werk-, Miet-
und Pachtverträge oder sonstiger Rechtsgeschäfte, sei es in Ausübung der
Staatsgewalt, z. B. Gehaltszahlung für Beamte — Verbindlichkeiten, die
nicht sofort, Zug um Zug erfüllt werden — entstehen Schulden des Reichs,
die mit den Geschäften der laufenden Verwaltung so untrennbar und so
selbstverständlich verbunden sind, daß es der Natur der Sache nach aus-
geschlossen ist, fie, wie die Anleihe, an erschwerende Formen zu binden.
Das Korrelat liegt einmal in der relativ geringen finanziellen Bedeutung,
die sie unter normalen Verhältnissen haben (ausgenommen in Kriegszeiten,
z. B. die auf Grund des § 20 Abs. 2 des Ges. v. 13. Juni 1873 gegebenen
Kriegsanerkenntnisse) und ferner in ihrer Kurzfristigkeit, die sich aus der
an das Etatsjahr gebundenen Finanzwirtschaft des Reichs ergibt.