Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

60 II. Reichsgesetzgebung. Art. 2. 
punkt festgehalten werden, daß die Worte „innerhalb dieses Bundesgebietes“, 
mit denen Art. 2 beginnt, sich nicht auf den letzten Satz dieses Artikels 
beziehen, so daß die Bestimmung der vierzehntägigen Frist ohne Einschränkung 
auch für die Wirksamkeit solcher Reichsgesetze gilt, die für das Ausland 
erlassen sind. Würde die gegenteilige Ansicht zutreffen, so müßten die 
Worte „innerhalb dieses Bundesgebietes“ auch für den zweiten Satz des 
Art. 2 ergänzt werden und dies würde zu einem falschen Ergebnis führen, 
denn die Regel, daß Reichsgesetze ihre verbindliche Kraft durch ihre Ver- 
kündigung von Reichs wegen erhalten und daß die Verkündigung mittels des 
Reichsgesetzblattes geschieht, gilt für diejenigen Gesetze, die sich auf das 
Ausland beziehen, nicht weniger als für alle anderen Reichsgesetze. 
3. Die Frist für die Wirksamkeit der Verordnungen. 
Da, wie hier angenommen wird, nach der Reichsverfassung das Wort 
„Gesetz“ die Verordnungen nur umfaßt, wenn es sich um die Abgrenzung 
der Kompetenz zwischen Reich und Einzelstaaten handelt, geht es eben- 
sowenig für den 3. Satz wie für den 2. Satz des Art. 2 an, ihn ohne 
weiteres auf Verordnungen zu beziehen, und ist dieser Standpunkt bezüglich 
des 2. Satzes richtig, so ergibt sich, daß für Verordnungen die Verkündigung 
im Reichsgesetzblatt überhaupt nicht notwendig ist, abgesehen von den Kaiser- 
lichen Verordnungen, für die sie durch die Verordnung v. 24. Juli 1867 
vorgeschrieben ist. Werden die Verordnungen aber nicht oder nicht durch- 
weg im Reichsgesetzblatt verkündigt, so entfällt damit die Voraussetzung, 
auf der die Fristbestimmung des 3. Satzes beruht. Für Verordnungen 
fehlt es also an einer entsprechenden allgemeinen Bestimmung über den 
Anfangstermin ihrer Wirksamkeit. Die Frist muß deshalb entweder aus- 
drücklich in der Verordnung festgesetzt sein oder die Verordnung tritt sofort 
mit ihrer Verkündigung in Kraft. 
V. Die Prüfung der Rechtsgültigkeit der Reichsgesetze 
und Reichsverordnungen. 
1. Das Recht zur Prüfung. 
Unter III 1 S. 47 ist ausgeführt, daß auf Grund des 2. Satzes des 
Art. 2 es dem Kaiser zusteht, vor der Verkündigung das reichsverfassungs- 
mäßige Zustandekommen der Reichsgesetze zu prüfen. Es entsteht die Frage, 
ob und inwieweit daneben die Behörden — Gerichts= und Verwaltungs- 
behörden — berechtigt sind, in eine Prüfung der Gültigkeit von Rechts- 
normen des Reichs einzutreten. Vorauszubemerken ist, daß hier ein grund- 
sätzlicher Unterschied zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden und 
zwischen Reichs= und Landesbehörden nicht aufzustellen ist. Alle Behörden, 
mögen sie mit der Rechtspflege oder mit der Verwaltung befaßt sein, 
mögen sie Reichs= oder Landesbehörden sein, sind verpflichtet, das geltende 
Recht anzuwenden, das geltende Recht in seinem vollen Umfange, anderer- 
seits nichts als das geltende Recht, und daraus ergibt sich ohne weiteres 
der Schluß, daß sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Frage prüfen 
müssen, ob Rechtsvorschriften des Reichsrechts, die sich nach ihrer äußeren 
Form als solche darstellen, es auch wirklich find, d. h. ob sie rechtsgültig
	        
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