Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XIV. Allgemeine Bestimmungen. Art. 78. 685 
des Präfidiums inbegriffen, auch das Vetorecht nach Art. 5 Abs. 2 und 
Art. 37 R. V. Ferner haben sämtliche Staaten ein unentziehbares Recht 
auf ihre Vertretung im Bundesrat mit der durch Art. 6 festgesetzten Stimmen- 
zahl; vgl. Art. 6 VI S. 206 ff. 
Der klare Wortlaut des Art. 78 Abs. 2 nötigt zwar dazu, diese Be- 
stimmung unmittelbar nur auf „Vorschriften der Reichsverfassung“ zu be- 
ziehen. Aber der Sinn der Bestimmung verlangt es andererseits, daß 
überall dort, wo wirklich Sonderrechte bestehen, mögen sie auch durch andere 
legislatorische Akte als die Verfassung begründet sein, diese Sonderrechte 
als vertragsmäßige Elemente zwischen dem Reich und dem betreffenden 
Einzelstaat behandelt und demgemäß nur mit Zustimmung des betreffenden 
Staats aufgehoben werden, nicht auf Grund unmittelbarer Anwendung des 
Art. 78 Abs. 2, sondern auf Grund einer vom Art. 78 Abs. 2 abgeleiteten 
Analogie; in diesem Sinne muß die Bemerkung zu Art. 35 II b 3 S. 498 
über die noch bestehenden süddeutschen Branntweinsteuer-Reservatrechte er- 
gänzt, bez. berichtigt werden. 
b) Die Zustimmung des berechtigten Bundesstaats. 
Die Zustimmung des berechtigten Bundesstaats kann in jeder be- 
liebigen Form erklärt werden, durch einen besonderen mit dem Reich ge- 
schlossenen Staatsvertrag oder auch ohne einen solchen, ausdrücklich oder 
stillschweigend durch Unterlassung eines Widerspruchs; vgl. Laband 1 S. 112, 
Meyer § 164 A. 30, Zorn I S. 125. 
Die Zustimmung des Landtags der Einzelstaaten ist nicht erforderlich, 
weil dem Reich gegenüber die Einzelstaaten nur durch den Bundesrat ver- 
treten werden; dies ist jetzt die herrschende Ansicht (dafür u. a. Laband I 
S. 113, v. Seydel S. 425 ff., v. Rönne II 1 S. 36, Arndt S. 197 — da- 
gegen Zorn 1 S. 134) und sie findet eine Bestätigung in den Reichstags- 
verhandlungen über die Annahme der süddeutschen Verträge; val. insbesondere 
die Ausführungen des Abg. Lasker in der Sitzung v. 5. u. 7. Dez. 1870 
St. B. 85 u. 183 und die Antwort des Präsidenten Delbrück St. B. 134 
sowie die Erwiderung des Abg. v. Hoverbeck; desgleichen ergibt sich eine 
Bestätigung aus den Erklärungen des bayrischen Staatministers v. Lutz und 
des württembergischen Staatsministers v. Mittnacht in der Reichstagssitzung 
v. 20. und 22. Nov. 1871 St. B. 378 u. 422 f. bei den Verhandlungen 
über den Gesetzentwurf betr. die Einführung des Norddeutschen Bundes- 
gesetzes über die Verpflichtung zum Kriegsdienst v. 9. Nov. 1867 in Bayern. 
Die Frage, ob ein Gesetz zulässig wäre, das die Regierung für derartige 
im Bundesrat abzugebende Erklärungen an die Genehmigung des Landtages 
bindet — wie es in den süddeutschen Kammern damals beantragt, aber 
nicht angenommen wurde — ist nach denselben Grundsätzen zu beurteilen, 
wie die Einwirkung der einzelstaatlichen Landtage auf die Instruktion der 
Bundesratsbevollmächtigten überhaupt; val. Art. 7 Cll S. 239 ff. 
Wegen der Abstimmung des Bundesrats über die Vorfrage, ob über- 
haupt ein Sonderrecht gegeben ist, vgl. Art. 7 B II S. 235 ff. 
Aus der Fassung des Art. 78 ergibt sich endlich, daß für die Aufhebung 
eines Sonderrechts — abgesehen von der Zustimmung des berechtigten Staats 
— ein verfassungänderndes, also mit der durch Art. 78 Abs. 1 vorgeschriebenen. 
Mehrheit des Bundesrats zustande gekommenes Reichsgesetz erforderlich ist. 
 
	        
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