82 II. Reichsgesetzgebung. Art. 3.
des Staatsbürgerrechts, die Staatsangehörigkeit, während der Nichteinheimische
sie erst erwerben muß. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung wird
vielmehr dahin aufzufassen sein, daß jedem Angehörigen eines anderen
Bundesstaats die Möglichkeit offen gelassen sein muß, ohne Übernahme
besonderer lästiger Verpflichtungen die Staatsangehörigkeit in jedem anderen
Bundesstaate zu erwerben — dieses Ziel ist durch das Gesetz über den
Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit erreicht — und daß er dann
auf Grund der erworbenen Staatsangehbrigkeit zu allen politischen Rechten
unter denselben Voraussetzungen zugelassen werden muß wie die als solche
geborenen Einheimischen. Man hat die durch diese Bestimmung geschaffene
Rechtslage mit dem Schlagwort „politische Freizügigkeit“ bezeichnet; vgl.
Meyer S. 315 A. 21 und die dort angeführte Literatur sowie Bundes-
kommissar Hofmann in der Sitzung des konst. Reichstags v. 19. März 1867
St. B. 244.
7. Der Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte.
Nach der Fassung des Art. 3 ist anzunehmen, daß der Begriff der
„bürgerlichen Rechte“ im Sinne des Art. 3 weiter ist als der des „Staats-
bürgerrechts", und wenn dies der Fall ist, so würden die „bürgerlichen
Rechte“ sich auch auf die Privat-(Zivil-) Rechte erstrecken im Gegensatz zu
den unter der Bezeichnung „Staatsbürgerrecht“ zusammengefaßten politischen
Befugnissen öffentlich- rechtlicher Art; das Wort „bürgerlich"“ würde dann
etwa dasselbe bedeuten wie in der Bezeichnung „Bürgerliches Gesetzbuch“"
oder wenigstens diesen Begriff mitumfassen. So verstanden, liegt in dieser
Bestimmung die verfassungsmäßige Grundlage für die Kompetenz des Reichs
zu dem Erlaß des Gesetzes betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen in
bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung v. 3. Juli 1869 B. G. Bl.
S. 292, defsen einziger Artikel lautet:
„Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekennt-
nisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen
Rechte werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung
zur Teilnahme an der Gemeinde= und Landesvertretung und zur Be-
kleidung öffentlicher Amter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein.“
(Dieses Gesetz ist auch gültig für Baden und Südhessen gemäß Art. 801 20
der mit diesen Staaten vereinbarten Verfassung B. G. Bl. 1870 S. 647, für
Württemberg gemäß Art. 2 Nr. 6 des Vertrages v. 25. Nov. 1870 B. G.Bl.
S. 656 und für Bayern gemäß Reichsgesetz v. 22. April 1871 8 2110
B. G. Bl. S. 87; in Elsaß-Lothringen ist es nicht eingeführt.)
Auch hier kehrt der Gegensatz zwischen bürgerlichen und staatsbürger-
lichen Rechten wieder. Aber die Regelung der religiösen Verhältnisse gehört
an sich nicht zur Kompetenz des Reichs und insbesondere enthält Art. 4
N.V. keine Bestimmung, auf Grund deren das Reich zuständig wäre,
irgendwelche Vorschriften nach dieser Richtung zu erlassen. Der Bundes-
kommissar v. Savigny erklärte in der Sitzung des konst. Reichstags v.
19. März 1867 St. B. 251:
„Die preußische Regierung hat, als sie den Verfassungsentwurf unseren
mitverbündeten Regierungen vorlegte, das religiös-sittliche Gebiet der
Autonomie der einzelnen Staaten entschieden nicht entzogen wissen wollen.
Wir haben im allgemeinen nur auf den Gebieten die Gesamtkräfte der