88 II. Reichsgesetzgebung. Art. 3.
Grundstücken, der Erlangung des Staatsbürgerrechtes und des Genufsfes aller
sonstigen bürgerlichen Rechte, endlich der Rechtsverfolgung und des Rechts-
schutzes dieselben Ansprüche geltend zu machen, wie sie den Einheimischen
zustehen, nicht aber darf er nach Abs. 2 fordern, daß ihm für den Erwerb
dieser Rechte die Obrigkeiten — sei es des eigenen oder eines anderen
Bundesstaates — überhaupt keine Hindernisse bereiten dürfen; er muß sich
vielmehr alle obrigkeitlichen Beschränkungen gefallen lassen, denen auch die
Einheimischen unterworfen find. Eine Ergänzung in dem Sinne, daß die
Ausübung eines Teils dieser Befugnisse vor Beschränkungen durch die
Obrigkeit überhaupt sichergestellt wurde, hat erst das Freizügigkeitsgesetz v.
1. Nov. 1867 (B.G. Bl. S. 55) eingeführt. Danach ist — abgesehen von
wenigen durch das Gesetz bestimmten Ausnahmefällen — das Recht, sich
innerhalb des Bundesgebietes aufzuhalten und niederzulassen, für jeden
Deutschen nur noch an die Bedingung gebunden, daß er eine eigene
Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen imstande ist; das Recht
in Deutschland Grundeigentum zu erwerben ist allen Deutschen unbedingt
freigegeben; für das Recht zum Gewerbebetriebe aber ist die Klausel des
Art. 3 aufrecht erhalten, daß dieses Recht nur unter den für Einheimische
geltenden gesetzlichen Bestimmungen ausgeübt werden kann. Auf den Er-
werb des Staatsbürgerrechts, die Erlangung öffentlicher Amter und die all-
gemeine Befugnis zu dem Genuß aller sonstigen bürgerlichen Rechte bezieht
sich weder das Freizügigkeitsgesetz noch ein sonstiges Reichsgesetz, sodaß
diese Rechte ebenso wie der Gewerbebetrieb in anderen Bundesstaaten von
den Angehbrigen eines jeden Bundesstaates nur unter denselben Beschränkungen
ausgeübt werden können, denen die Einheimischen unterliegen. In reli-
giöser Beziehung ist durch das Bundesgesetz v. 3. Juli 1869 B.G. Bl. S. 149
eine Beschränkung bei der Ausübung der bürgerlichen und staatsbürgerlichen
Rechte auch gegenüber den Einheimischen ausgeschlossen.
V. Die Armenversorgung.
Das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz und der Gothaer
und Eisenacher Vertrag.
Die Armenversorgung ist durch das Gesetz über den Unterstützungs-
wohnsitz v. 6. Juni 1870 B. G. Bl. S. 360 geregelt. Nachdem dieses Gesetz
durch Novellen v. 12. März 1894 R. G. Bl. S. 259 und v. 30. Mai 1908
R.G.Bl. S. 377 abgeändert worden war, ist der jetzt geltende Text u. d.
80. Mai 1908 im R. G. Bl. S. 381 neu bekannt gemacht. Das Gesetz gilt
jetzt im ganzen Reich, ausgenommen Bayern nach Ill § 1 des Versailler
Vertrages v. 23. Nov. 1870 B. G. Bl. S. 18. Nach dem Gesetz ist jeder
Deutsche — ausgenommen die Bayern — in jedem Bundesstaate (mit
derselben Ausnahme) in bezug auf die Art und das Maß der im Falle
der Hülfsbedürftigkeit zu gewährenden öffentlichen Unterstützung und in
bezug auf den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes als Inländer
zu behandeln (§ 1). Die öffentliche Unterstützung der hülfsbedürftigen
Deutschen wird durch die Ortsarmenverbände und eventuell durch den in
der Regel einen weiteren Bezirk umfassenden Landesarmenverband bewirkt
(§s 2—7). Die Einrichtung und die Kompetenzen der Armenverbände, die
Art und das Maß der im Falle der Hülfsbedürftigkeit zu gewährenden