Im Reichstage (1870 bis 1874) 89
blamieren. Der König behandelt den Kaiser und den deutschen Kron-
prinzen ganz schlecht. In St. Bartholomä soll der Kronprinz vom
Personal der Forstverwaltung nicht in das Haus eingelassen worden
sein. Die Spannung zwischen Berlin und hier ist im Steigen. Will sich
aber der König mit Preußen brouilliren, so wird er nicht daran denken,
mich ins Ministerium zu berufen, auch könnte ich, so wie die Lage ist,
es gar nicht einmal annehmen. Das Resultat dieser geradezu wahn-
sinnigen Politik wird ohne Zweifel zur Mediatisierung Bayerns führen.
Ich wäre sehr froh, wenn das Ministerium Gasser zustande kommt,
damit die nationalliberale Partei endlich hier eine natürlichere Stellung
bekommt. Gasser und Schrenck sind so ziemlich gleichbedeutend. Bis
jetzt weiß hier niemand etwas von der Sache, außer König, Minister,
Gasser und einige Eingeweihte.
Abends 8 Uhr. Eben komme ich von dem Festessen im Odeon.
Döllinger hat den Toast auf den König ausgebracht, Prinz Ludwig auf
die Münchner Universität, Herzog Karl Theodor auf die deutschen Uni-
versitäten, beide sprechen gut. Nachher allgemeine Besoffenheit. Ich ging
bald nach Hause und gehe heute Abend noch zu Döllinger, der mich ein-
geladen hat.
München, 2. August 1872.
Heute Festessen zu Ehren der Universität im Rathaussaale. Die
beiden Prinzen Ludwig und Theodor waren wieder da. Ich saß diesen
gegenüber zwischen Könneritz und Brey, dem Bierbrauer und Vorstand
des Gemeindekollegiums. Das Essen war besser als gestern, auch der Wein,
von dem ich übrigens fast nichts trank, sehr gut. Der Bürgermeister
brachte den Toast auf den König, Wilfert auf den Kaiser, der zweite
Bürgermeister auf die Universität, Döllinger auf die Stadt München aus.
Dann lösten sich die Bande, und gewöhnlich sprachen zwei auf einmal.
Ein norwegischer Professor sprach lange, ohne daß ihn jemand gehört
hätte. Professor Halm stand auf einem Stuhl und gestikulierte mit seinem
Glas, wobei er einen unter ihm sitzenden Ministerialrat begoß. Beim
Braten wurden Zigarren verteilt, und dann wogte alles im Saale umher.
Ich habe vergessen, Völks Toast auf Döllinger zu erwähnen, der noch ge-
hört und mit Beifall aufgenommen wurde. Auch ein eignes Zeichen der
Zeit, Völk auf Döllinger, wenn man sich der Jahre 48 und 49 und der
damaligen Stellung Döllingers erinnert.
Das Projekt Gasser wird von vielen Seiten bezweifelt. Könneritz
glaubt nicht daran. Fäustle sagte mir, er werde nicht bleiben, wenn
Gasser eintrete. Ich habe ihn darin bestärkt. Wir wollen sehen, ob
Fäustle tun wird, wie er jetzt sagt. Schleich kam zu mir und sagte, ich
möchte wieder ins Ministerium treten! Auch eine eigentümliche Wendung!