$3. Geschichtliche Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts. 39
Anders entwickelten sich die Dinge in Deutschland. Die Ver-
fassungsurkunden beließen dem Rechte nach die ganze Staats-
gewalt dem Monarchen. Aber dieser behielt nur die Verwaltung
zu eigener Ausübung bei, unter Mitwirkung verantwortlicher Mi-
nister. Die Justiz wurde vom Monarchen unabhängig gestellt.
Über Justiz und Verwaltung aber trat als oberste Gewalt im
Staate die Gesetzgebung. Sie konnte vom Monarchen nur unter
Mitwirkung einer Volksvertretung ausgeübt werden. Sie war der
einseitigen Verfügung des Monarchen entrückt und erlangte da-
mit Unverbrüchlichkeit auch für die Verwaltung. Dadurch
gewann der Gesetzgeber die Möglichkeit, die Verwaltungs-
behörden auch in ihrem Verkehr mit den Untertanen an feste
Rechtsschranken zu binden. Die Verwaltungsnormen erlangten
„zweiseitig verbindende Kraft‘ (Ihering),® d.h. sie banden den
Verwaltungsbeamten nicht nur dem Vorgesetzten, sondern auch
dem Untertan gegenüber. Es entwickelte sich für die öffentliche
Verwaltung ein besonderes öffentliches Recht, gleichwertig den
„Justiznormen‘, dem Zivilrecht. Damit wurde die Ausübung der
Verwaltung selbst ‚‚justizmäßig“‘. ,,Den Verbindlichkeiten,
welche die Subjektionsverhältnisse für den Untertanen begrün-
den, stehen die Rechte der Untertanen als solche zur Seite.
Beide stellen sich als unmittelbare Folge eines und eben des-
selben Rechtsverhältnisses — des Subjektionsvertrages — dar.
zösische Gesetzgebung ist bei der Lösung des Problems, ein Recht zu bilden,
nach dem der Staat selbst lebt, im wesentlichen zu denselben Ergebnissen
gelangt, wie das Römische Recht. In Rom galt das private Vermögehs-
recht nur für die Beziehungen inter privatos; für den Schutz des öffent-
lichen Vermögens bestanden besondere, von den privatrechtlichen Schutz-
mitteln abweichende Formen. Mommsen, Römisches Staatsrecht,
2. Aufl., I S. 162ff., 227, II S. 102, 454; 952ff. E. v. Meier, in der
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft von Holtzendorff und Kohler
II S. 732. — Umgekehrt bildet in England die Recht gewordene Ver-
waltungspraxis (Verwaltungsroutine) einen Bestandteil des common law,
d. h. des allgemeinen bürgerlichen Rechte. Daher vermögen im allge-
meinen die ordentlichen Gerichte unter den verschiedenartigsten Titeln
eine Kontrolle über die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung auszuüben.
Hatschek, Englisches Staatsrecht, II S. 609 ff., 649 ff. und die dort zitierten
Autoren. O. Koellreutter, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrecht-
sprechung im modernen England, 1912.
25 Jhering, Der Zweck im Recht I 8. 344ff. (,‚Die zweiseitig ver-
bindende Kraft der Norm‘‘). G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre®S. 388 fg.