Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Arbeiterversicherung (Allgemeines) 
  
schaftliche Selbsthilfe durch Zuschüsse der Arbeit- 
geber unterstützt wurde oder zu der Aufbringung 
der Mittel für die Leistungen der politischen Ver- 
bände die Beteiligten mit Beiträgen herangezo- 
gen wurden. Die Fürsorge des Arbeitgebers 
zeigte sich namentlich gegenüber erkranktem Ge- 
sinde nach Maßgabe der partikulären Gesindeord- 
nungen, auf Seiten des Rheders gegenüber der 
Schiffsmannschaft nach der Reichs-SeemannsO 
v. 27. 12. 72 und auf Seiten des Prinzipals ge- 
genüber dem Handlungsgehilfen nach a 60 des 
früheren HGB. Von besonderer Bedeutung auf 
dem Gebiete der Unfallfürsorge war das sog. 
Reichshaftpflicht G v. 7. 6G. 71, welches für Tötun- 
en und Körperverletzungen beim Betriebe von 
ergwerken, Steinbrüchen, Gruben und Fabriken 
eine Entschädigungspflicht des Unternehmers, 
anknüpfend an den a 1384 code civil, auch bei 
Verschulden seines Leitungs= und Aussichtsperso- 
nals begründete (§2). Noch weitergehend belastete 
das Gesetz die Unternehmer von Eisenbahnbetrie- 
ben, welche sich von der Haftung nur dann be- 
freien konnten, wenn sie selbst den Beweis führten, 
daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch 
eigenes Verschulden des Verletzten herbeigeführt 
worden sei (§ 1). Eine genossenschaftliche Fürsorge 
durch besonders geregelte, freiwillige oder auch 
zwangsweise Vereinigungen der Arbeiter, zum 
Teil unter Beizug der Arbeitgeber, war in weite- 
stem Umfange in den landesgesetzlichen Knapp- 
schaftsvereinen der Bergarbeiter (z. B. J 164 ff des 
preuß. Berg G v. 24. 6.65) gegeben. Daneben kamen 
die gewerblichen Hilfskassen nach den beiden Ra 
v. 7. und 8. 4. 76 und die Innungskrankenkassen 
nach dem R v. 18. 7. 81 in Betracht. Was die 
Fürsorge durch politische Verbände anlangt, so be- 
wegten sich die Besonderheiten, welche in § 29 REG 
über den Unterstützungswohnsitz v. 6. 6. 70 für die 
Krankenhilfe der Beschäftigungsgemeinde an Ge- 
sinde und gewerbliches Hilfspersonal getroffen 
waren, im wesentlichen noch auf dem Boden der 
Armenpflege. Eigenartig war jedoch die süd- 
deutsche Krankenfürsorge der Gemeinde gegen 
Beitragserhebung, für welche das bayr. Gv. 
29. 4. 69 a 11, 20, 21 grundlegend war. Sie ge- 
währte zufolge Gemeindebeschluß an Dienstbo- 
ten, Gesellen, Gewerbegehilfen und Lehrlinge 
ein von den Voraussetzungen der Armenpflege 
unabhängiges Fürsorgerecht. Die Arbeitgeber 
hafteten für richtige Beitragszahlung. Auch konnte 
dic Gemeinde ihre Pflicht auf einzelne große 
Unternehmer abladen, welche dann befugt wur- 
den, ihrerseits für ihren Betrieb Kassen zu be- 
gründen und Beiträge von ihren Arbeitern zu 
erheben. 
Diese, wenn auch im ganzen unzureichenden, 
weil räumlich, persönlich oder sachlich in enge 
Grenzen gebannten und teilweise nur bedingt 
wirksamen, Ansätze einer sozialpolitischen Fürsorge 
konnten immerhin von der neuen Gesetzgebung, 
namentlich auf dem Gebiete der Kranken= und 
Unfallfürsorge verwertet werden. So ist die süd- 
deutsche Gemeindekrankenfürsorge zu dem grund- 
legenden Institute der K V, der Gemeinden V, 
ausgebaut worden. An ihrer Stelle sollen aber 
im Sinne des Gesetzes in erster Reihe Orts- und 
Betriebskrankenkassen d. h. Genossenschaften der 
Arbeiter unter Beizug der Arbeitgeber, fungieren, 
  
welche an die Vereinigungen des früheren Rechts, 
  
anknüpfen. Wenn aber schon auf Grund des 
Haftpflichtgesetzes die dem Risiko unterliegenden 
Unternehmer von Fabriken usw. sich vielfach gegen. 
den Eintritt desselben bei Prämien= oder Gegen- 
seitigkeitsgesellschaften versichert hatten, so war 
damit für die Gestaltung der UV der Hinweis auf 
die genossenschaftliche Zusammenfassung der Un- 
ternehmer gegeben, neben welcher die Einzelhaf- 
tung nur aushilfsweise verwertet zu werden 
brauchte. Wesentlich die Invaliden= und Alters- 
versicherung ist ohne tiefer gehende Anknüpfungen 
an das frühere Recht gestaltet worden. 
#s 3. Gang der Gesetzgebung. Das Recht der 
Arb ist zur Zeit nicht in einem einheitlichen Ge- 
setze kodifiziert, sondern in drei großen Gesetzes- 
werken niedergelegt, welche sich nach den drei 
Fürsorgegründen, Krankheit, Unfall oder genauer 
Betriebsunfall und Invalidität gliedern. Mit der 
Fürsorge für die letztere ist zugleich die für das 
Alter verbunden. In dem gesetzgeberischen Vor- 
gehen, für welches die bekannte kaiserliche Bot- 
schaft v. 17. 11. 81 wesentlich bestimmend war, 
lassen sich bis jetzt folgende Perioden unterscheiden: 
1. Die erste Ein führung der Kranken= und 
UB. Sie gelang nicht mit einem Male. Vielmehr 
bedurfte es dreier, in den Jahren 1881, 1882 und 
1884 dem RT vorgelegten, die U#betreffenden 
Entw, bis das „UVG“ v. 6. 7. 84 am I. 10. 85 
in Wirksamkeit treten konnte. Das Gesetz be- 
schränkte sich zunächst, indem es allerdings erheb- 
lich über den Umfang des # 2 des Haftpflicht G 
hinausging, auf den Kreis der industriellen Be- 
triebe und wurde deshalb später auch als indu- 
strielles oder gewerbliches U G bezeichnet. Durch 
jene verschiedenen Anläufe war ihm das zugleich 
mit dem 2. Entw dem RI2I vorgelegte „Gesetz 
betr. die Kr V der Arbeiter“ zuvorgekommen, wel- 
ches, unter dem 15. 6. 83 verkündet, mit dem 1. 12. 
84 in Wirksamkeit trat. 
2. Die Erweiterung der Kranken= und UV. 
Sie erfolgte durch vier Gesctze: 
a) Durch das in Gestalt einer Novelle ergangene 
„Gesetz über die Ausdehnung der Unfall= und 
KV“" v. 28. 5. 85, das sogen. Ausdehnungs G, 
wurde eine Reihe weiterer privater Gewerbe- 
betriebe, namentlich aber eine wichtige Anzahl 
von Staatsbetricben, Post, Telegraphie, Eisen- 
bahnen, die Betriebe der Marine= und Heeres- 
Verw der Unfall- und KV unterstellt. 
b) Das „Gesetz betr. die Unfall- und KV der 
in land= und forstwirtschaftlichen Betrieben be- 
schäftigten Arbeiter“ v. 5. 5. 86 kodifizierte in 
seinem Abschnitt A die U# für das bezeichnete 
Wirtschaftsgebiet mit mancherlei Abweichungen 
vom industriellen U VG und erheblicherer Freiheit 
für die Landesgesetzgebung und erleichterte in 
seinem novellarischen Abschnitt B durch eine 
Reihe von Sonderbestimmungen die Einführung 
der KV durch Landesgesetz oder Kommunalstatut 
für die gleichen Betriebe. 
c) Das „Gesetz betr. die UV der bei Bauten 
beschäftigten Personen“ v. 11. 7. 87 erstreckte in 
Form einer umfangreichen Novelle zum U## 
das letztere auf die in ihm noch nicht berücksichtig- 
ten Zweige des Bauwesens, indem es namentlich 
für Erd= und Tiefbauten und für die ohne Vermitt- 
lung gewerblicher Unternehmer ausgeführten sog. 
Regiebauten Sonderbestimmungen aufstellte. 
d) Unter dem 13. 7. 87 wurde das „Gesetz betr.
	        
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