Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Armenwesen 
  
Verein zu bilden, dem beizutreten die oben ge- 
nannten Kategorien, sowie die im Bezirke ansäs- 
sigen Gutsbesitzer aufzufordern sind. Im übrigen 
ist die Verw Ordnung in einzelnen A# Sache der 
statutarischen Festsetzung, wobei regelmäßig aus 
Abgeordneten der beteiligten Gemeinden und 
Gutsbezirke die Vertretung zu bilden ist. Die Zu- 
ziehung der im vorstehenden genannten Personen 
ist selbstverständlich auch in den anderen Staaten 
zulässig und in jeder Beziehung empfehlenswert. 
In Ansehung der ehrenamtlichen Be- 
teiligung seitens der Gemeindemitglieder besteht 
für die AVerw insofern eine Besonderheit, als ihre 
Natur das Mitwirken vieler Kräfte nicht nur ver- 
trägt, sondern geradezu erfordert. Die sogleich 
(zu 2) zu betrachtenden Grundsätze der Individua- 
lisierung können nur durchge führt werden, wenn 
die Zahl der Bedürftigen klein genug ist, um von 
der AVerw in ihren gesamten Verhältnissen über- 
sehen und dauernd beobachtet werden zu können. 
Zu diesem Behufe hat sich das alte, schon in der 
christlichen Epoche angewendete System der A- 
Diakonie vorzüglich geschickt erwiesen; es ist in 
mustergültiger Weise 1852 in Elberfeld wieder 
belebt und den modernen Verhältnissen entspre- 
chend ausgestaltet worden. Sein Schwerpunkt liegt 
in der Einteilung des Verw Bezirks in Quartiere, 
deren jedes regelmäßig nicht mehr als 2—4 A- 
Pflegefälle umfaßt; dem Quartier steht ein A- 
Pfleger (ehrenamtlich) vor, welchem die geringe 
Zahl der Fälle die eindringende und dauernde 
Kenntnis der Ursachen und des Umfanges der Be- 
dürftigkeit in jedem einzelnen Falle gestattet. Zur 
Aufrechterhaltung gleichartiger Grundsätze und 
Ueberwachung der A im Falle des Quartier- 
wechsels sind die Quartiere in Pflegebezirke zu- 
sammengefaßt, welchen je ein Bezirksvorsteher 
vorsteht; diese wiederum finden den Einigungs- 
punkt in der Haupt Verw. — Selbstverständlich be- 
darf es solcher Einrichtungen nicht in ganz kleinen 
Verhältnissen, wie andererseits das System man- 
gels genügender Kräfte oder anders gearteter Ver- 
hältnisse nicht überall vollkommen durchgeführt 
werden kann. 
Tatsächlich ist das Elberfelder System jetzt in 
nahezu allen größeren Gemeinden durchgeführt. 
Doch hat man in den großen Städten, so nament- 
lich Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden nicht das 
Elberfelder Quartiersystem; man begnügt sich an 
seiner Stelle mit dem Bezirkssystem. Der Unter- 
schied liegt darin, daß bei dem Quartiersystem 
Straßen und Plätze von vornherein einem be- 
stimmten Pfleger zugewiesen werden, an welchen 
sich zunächst die USuchenden zu wenden haben, 
während bei dem Bezirkssystem ein größerer Kom- 
plex von Straßen und Plätzen zu einem Bezirk 
zusammengefaßt ist, an dessen Spitze ein Vorsteher 
gestellt ist, an den sich die Bedürftigen zunächst zu 
wenden haben; dieser weist sie dann seinerseits 
erst einem Pfleger zu, den er nach Lage des Falles 
unter Berücksichtigung der Wohnung, der Persön- 
lichkeit sowohl des Pflegers als des Hilfesuchenden 
aus den die Bezirksversammlung bildenden Pfle- 
gern auswählt. Das Bezirkssystem ist für größere 
Städte unzweifelhaft dem reinen Elberfelder Sy- 
stem überlegen; es ermöglicht eine bessere und 
gleichmäßigere Heranziehung der Pflegekräfte, da 
vielfach das eine und andere Haus, die eine oder 
andere Straße vorzugsweise von bedürftigen Per- 
  
sonen bewohnt ist, die bei dem Quartiersystem 
sämtlich dem einen Quartierpfleger zufallen, wäh- 
rend ein anderer Pfleger, dem Nachbarhäuser oder 
eine andere Straße unterstellt sind, überhaupt gar 
keine oder ganz wenige Personen pflegerisch zu be- 
handeln hat. — Besondere Vorzüge besitzt das 
Bezirkssystem gegenüber dem Tuartiersystem 
überall da, wo Frauen zur Teilnahme an der 
öffentlichen APPflege zugelassen sind, da es sich 
empfiehlt, den dem Bezirk angehörigen Frauen 
nicht gleichmäßig alle vorkommenden Pflegefälle, 
sondern in erster Linie die von Witwen mit Kin- 
dern, von Kranken und alten Leuten zuzuweisen. 
Die auch den Begründern des E. S. noch ganz 
unbekannte Zuziehung von Frauen hat in den 
letzten 10—15 Jahren erhebliche Fortschritte ge- 
macht. In Preußen ist ihre Zulassung auf Grund 
des § 3 AG gerechtfertigt, da dort im Gegensatz 
zu den Städte O, in denen die Ausübung öffent- 
licher Pflichten an den Besitz des Bürgerrechts 
geknüpft ist, von Ortseinwohnern im allgemeinen 
gesprochen ist, also das Geschlecht dabei keine Rolle 
spielt. Doch ist die Beteiligung der Frauen ver- 
schieden geordnet; zum Teil sind sie, wie in Berlin, 
Frankfurt a. M., Elberfeld, Darmstadt, Wies- 
baden, Magdeburg, Rixdorf, Düsseldorf, Char- 
lottenburg u. a. mit ganz gleichen Rechten und 
Pflichten wie die Männer zugelassen, zum Teil 
werden sie nur den Bezirken zugeordnet und nach 
Ermessen des Bezirksvorstehers für geeignete Fälle 
verwendet und zu den Sitzungen nicht mit be- 
schließender, sondern nur mit beratender Stimme 
zugelassen so z. B. in Mainz, Oberhausen, Naum- 
burg, Oldenburg, Siegen. In Uebereinstimmung 
mit den Beschl des Deutschen Vereins für APflege 
und Wohltätigkeit und des Preußischen Städte- 
tages muß jedoch die Zuziehung mit gleichen 
Rechten und Pflichten gefordert werden. Sie ist 
um so unbedenklicher, als keine öffentliche Tätig- 
keit den Fähigkeiten und Neigungen der Frau 
mehr entspricht und sie auf keinem Gebiet nütz- 
licher wirken kann als gerade auf dem Gebiet der 
ApPflege. Anfang 1910 sind Frauen in dieser 
Weise an der ApPflege beteiligt in 212 Städten. 
In einigen Gemeinden nehmen Frauen auch an 
der Leitung der Aerw selbst teil, mit beschließen- 
der Stimme z. B. in Mannheim, Offenburg, 
Bremen, Frankfurt a. M., Bonn, mit beratender 
Stimme z. B. in Cassel, Halle. Auf dem Gebiet der 
armenpflegerischen Fürsorge für Kinder d. h. der 
Waisenpflege im engeren Sinne sind Frauen in 
stärkerem Maße beteiligt; sie dürfen Mitglieder 
der Gemeindewaisenräte sein. 
#& 2. II. Verwaltungsgrundsätze. 1. Im all- 
gemeinen. Wie schon oben bemerkt, lassen sich 
Vorschriften über die Verw der APflege, Art und 
Maß der U regelmäßig nur in allgemeinen Um- 
rissen geben, womit sich denn auch die Landes G 
durchweg begnügen. Wenn diese Obdach, Nah- 
rung, Kleidung unter den notwendigen Leistungen 
der öffentlichen APflege aufzählen, so bleibt eben 
der AVerw übrig, zu entscheiden, was im einzelnen 
Falle als notwendig zu gelten hat. Aber auch der 
lokalen Verw ist eine prinzipielle Entsch im voraus 
nur in gewissem Umfange möglich, so namentlich 
dahin, daß U in barem Gelde oder in Naturalien 
zu verabreichen, Obdach durch Unterbringung in 
cine AAnstalt oder durch Zahlung der Miete, 
Kinderpflege in Anstalten oder durch Unterbrin- 
 
	        
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