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Armenwesen
in dem Bezirk betretenen arbeitsscheuen Bedürf-
tigen einzuliefern sind. Dort werden sie unter
strenger, aber menschenfreundlicher Zucht zur
Arbeit angehalten. Vorbildlich sind hierfür die
meist aus freier Initiative hervorgegangenen An-
stalten in Sachsen, welche im Anschluß an
§s 330, 89 AOv. 1840 (in größerer Zahl zunächst auf
der Grundlage freier Vereinigung nicht unter
10 000 und nicht über 60 000 Einw.) durch die
Bezirksvereine, später aber auch im Anschluß an
die größeren Amtsbezirke (50 000 bis 200 000
Einw.) eingeführt wurden. Von den gegenwärtig
bestehenden, sehr erfolgreich wirkenden Anstalten
dienen nur 2 nicht zur Unterbringung arbeits-
scheuer Personen; im übrigen nehmen die meisten
auch außerdem solche A auf (Sieche, Kranke,
Gebrechliche, Obdachlose u. a. m.), für deren Ver-
pflegung die Einrichtungen der kleinen A meist
unzureichend sind. —
c) Andere Zwangsmaßregeln. Die
Unterbringung in ein Arbeitshaus (wohl
zu unterscheiden von Besserungs-= und Korrektions-
anstalten ([LBettelwesen, Korrigen-
denwesen, Fürsorgeerziehun gssetzt
das Anrufen der ApPflege und Fortdauer der Be-
dürftigkeit voraus; auf Ansuchen des Unterstützten,
welcher sich zur Wiedergewinnung eigenen Er-
werbs imstande glaubt, muß seine Entlassung
erfolgen. Die Frage, obverwaltungsrecht-
liche Zwangsmaßregeln zulässig sind gegen je-
manden, dessen Bedürftigkeit fortdauert, bezw.
dessen Rückfall an die APflege nach kurzer Frist
zu erwarten ist, namentlich aber gegen denjenigen,
der, ohne selbst die APflege anzurufen, seine Ange-
hörigen hilfsbedürftig verläßt, ist viel umstritten.
Es handelt sich bei dieser Frage um einen, wie all-
gemein anerkannt ist, sozialen Mißstand von schwer-
wiegender Bedeutung.
Bei den in Frage kommenden Maßregeln sind
die des Strafrechts und die des Verw Zwangs zu
unterscheiden. In strafrechtlicher Beziehung kam
bis 94 nur § 360 " RSt G in Betracht, wonach mit
Haft zu bestrafen ist und der landespol. Behörde
zur Einsperrung in ein Arbeitshaus überwiesen
werden kann, wer sich dem Spiel, Trunk oder
Müßiggang dergestalt ergibt, daß er in einen Zu-
stand gerät, in welchem zu seinem oder seiner An-
ehörigen Unterhalte durch Vermittlung der Be-
hörden fremde Hilfe in Anspruch genommen wer-
den muß. Man wirft diesem Verfahren mit Recht
vor, daß es weitläufig sei und durch die Zwischen-
instanz des mit den praktischen Anforderungen
meist nicht vertrauten Richters der Erfolg oft durch
Freisprechung oder ungenügende Bestrafung ver-
eitelt werde; es entstand daher eine sehr bedeu-
tende, durch vielfache Petitionen an den RT zum
Ausdruck gekommene Bewegung, welche auf Ein-
führung weitergehender Maßregeln, namentlich
direkter Verw Zwangsmittel, gerichtet
ist. Als besonders wünschenswert wurde die
Wiedereinführung der Bestimmungen des preuß.
Gv. 21. 5. 55 bezeichnet, denen zufolge in dem
praktisch wichtigsten Falle des Verlassens seiner
Angehörigen die Unterbringung des
pflichtvergessenen Ernährers in
eine Arbeitsanstalt auf die Dauer der
den Angehörigen gewährten U durch Beschluß
5r er Verw Behörde herbeigeführt werden
onnte.
Ein dem NI vorgelegter Entw (93) trug diesen
Klagen insoweit Rechnung, als in a 2 vorge-
schlagen wurde, den § 361 des StrGB durch eine
Einschaltung hinter Nr. 5 zu ergänzen, welcher es
ermöglichen sollte, auch für die ebengenannten
arbeitsfähigen Personen die Zwangsmaßregeln
für Korrigenden anzuwenden. In der Kommission
fand diese Ergänzung fast ungeteilte Zustimmung;
sie ging unverändert in den neuen Entw v. 21. 11.
93 über, wurde hier jedoch statt als Ergänzung zu
361 Nr. 5 eingefügt zu werden, bei § 361 Nr. 10
eingereiht; ihr wurde damit die Anwendbarkeit
der besonderen Strafen in Nr. 5—8 des § 361,
d. h. der Nachhaft entzogen und obendrein durch
eine entsprechende Einfügung am Schluß von 5361
auch die Strafmöglichkeit selbst noch dadurch be-
schränkt, daß statt Haft= auch auf Geldstrafe bis
zu 150 Mk. erkannt werden kann. Die neue Nr. 10,
wie sie als a 2 der Novelle v. 94 Geltung erlangt hat,
lautet daher nunmehr im Zusammenhang: „Wer,
obschon er in der Lage ist, diejenigen, zu deren
Ernährung er verpflichtet ist, zu unterhalten, sich
der Unterhaltungspflicht trotz der Aufforderung
der zuständigen Behörde derart entzieht, daß durch
Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch
genommen werden muß.“ Die praktische Bedeu-
tung dieser Vorschrift ist naturgemäß sehr gering:
gegen eine Person, welche sich ihrer Pflicht gegen
ihre Familie vorsätzlich entzieht, ist mit einer Geld-
strafe und mit der verhältnismäßig kurzen Haft-
strafe sehr wenig auszurichten, ganz abgesehen
davon, daß die mit der Praxis der AVerw fast
gar nicht vertrauten Gerichte zur Anwendung eines
höheren Strafmaßes meist wenig geneigt sind.
Unter diesen Umständen dauerten die Klagen über
die beregten Uebelstände fort und gaben unter
anderem dem Ver A pPfl Veranlassung, den Gegen-
stand besonderer Prüfung zu unterziehen, die
zu der nachmals noch mehrfach wiederholten
Forderung eines Verw Zwangsverfahrens im
Sinne des erwähnten preußischen G v. 1855
führte. Bei den in dem Verein und in der Literatur
hierüber gepflogenen Erörterungen stand die viel
umstrittene Frage im Vordergrund, inwieweit auf
diesem Gebiete das Reichsrecht das Landesrecht
aufhebt oder einschränkt. Hierbei ist mit allseitiger
Zustimmung, entsprechend dem Ec z. StGB und
auch in dem Sinne und Geiste des Reichsstraf-
rechts, festgestellt worden, daß alle landes-
gesetzlichen Vorschriften als aufgehoben zu gel-
ten hätten, welche strafrechtlicher Natur seien,
daß also Bestrafung wegen Versäumung der Er-
nährungspflicht auf Grund von Landes G aus-
geschlossen sei und daß sich umgekehrt die aus Anlaß
der Novelle zum UWG erlassenen neuen Straf-
vorschriften nicht nur auf den Geltungsbereich
dieses G zu beschränken, sondern für alle Teile des
Reichs, also auch für Bayern und Elsaß-Lothringen
zu gelten hätten. Daneben wurde aber als zwecel-
los angeschen, daß landesgesetzliche Vorschriften in
Kraft bleiben bezw. neu erlassen werden könnten,
insoweit sie lediglich der polizeilichen Zwangsge-
walt Mittel an die Hand geben zur Herbeiführung
derjenigen Pflichterfüllung, auf welche die Pol-
Behörde gegen pflichtvergessene Familienmitglieder
hinzuwirken gesetzlich ermächtigt ist. In diesem
Sinne hat auch der RK den genannten Verein auf
eine diesen Gegenstand betreffende Eingabe be-
schieden. Aehnlich sprechen sich auch die Motive zu