III. Armenpolizei — IV. Schutzgebiete
219
dem württembergischen G v. 89 aus.
Die Verpflichtung zur Arbeitsleistung wird in Würt-
temberg durch Beschluß der ABehörde festgestellt.
Eine ähnliche Bestimmung enthält das G des
Herzogtums Anhalt v. 27. 4. 04 und das G
für Mecklen burg-Schwerin v. 18. 5. 90.
Sehr gründlich ist die Frage jüngst von den
Hamburgischen gesetzgebenden Körperschaf-
ten erörtert worden, wobei namentlich auf die
eben erwähnte Erklärung des RK hingewiesen und
der Sachstand in den einzelnen Bundesstaaten der
Prüfung unterzogen wird. Der hamburgische
Ggeber kommt hierbei zu dem oben mitgeteilten
Ergebnis, demzufolge zwar strafrechtliche Vor-
schriften neben dem RSt#B nicht zulässig seien,
wohl aber polizeiliche Maßregeln, die dem Miß-
brauch der APflege in der Art entgegenzuwirken
bestimmt sind, daß der durch den Mißbrauch ge-
schaffene polizeiwidrige Zustand beseitigt wird.
Dies geschehe durch den Arbeitszwang, der gegen
das der Unterhaltspflicht sich entziehende Familien-
haupt geübt werde, wenn der AV während der
Dauer der den Angehörigen zu gewährenden U
die Kontrolle über Arbeit und Arbeitsverdienst des
Nährpflichtigen übernehme. Hinzu kommt der
andere Gesichtspunkt, daß im Sinne der armen-
rechtlich unzweifelhaften Familiengemeinschaft das
Familienhaupt in der Person seiner Angehörigen,
also mittelbar selbst unterstützt werde; da die Ge-
währung der U in Erfüllung einer öffentlich-recht-
lichen Pflicht erfolge, so sei auch die Beseitigung
der Notwendigkeit dieser Hilfe eine Forderung der
öffentlichen Ordnung. Hierin liege das polizeilich zu
schützende öffentliche Interesse, wobei es sich trotz
des scheinbar gleichen Enderfolges nicht um eine
Bestrafung durch Freiheitsentziehung — die recht-
lich unzulässig sein würde — sondern um eine in
besonderer Form gewährte U handle. Selbstver-
ständlich müssen derartige armenpolizeiliche Maß-
regeln mit Sicherheit gegen Mißbrauch ausge-
stattet sein, was Hamburg durch Schaffung einer
besonderen Behörde zu erreichen versucht hat.
Alle übrigen hier nicht erwähnten Bundesstaaten,
so namentlich Preußen und Bayern, ent-
behren derartiger Bestimmungen. Einen teilweisen,
aber doch nur sehr unzureichenden Ersatz gewähren
einige landesgesetzliche Bestimmungen über die
Befugnisse der AVerw, bestimmte Klassen von
Angehörigen im Verw Verfahren zur Leistung von
Beiträgen heranzuziehen (vgl. Armenverw. zu 3.).
In diesem Zusammenhange sind auch noch die
Strafbestimmungen des bayerischen AE a 44 zu
erwähnen, denen zufolge Personen, welche
öffentl. A genießen, mit Arrest bis zu 8, im Rück-
fall bis zu 30 Tagen bestraft werden können, wenn
sie sich ungeziemenden Benehmens gegen die A-
Pflege oder der Veräußerung bezw. Unbrauchbar-
machung von Natural U schuldig machen. Aehnlich
württ. Pol StrGB a 10, welches für derartige Zu-
widerhandlungen sowie für Erschleichen von U
oder mutwilliges Herbeiführen einer bedürftigen
Lage Haft androht. —
# 3. Der Einfluß den Empfangs öffentlicher
Armennnterstützung auf das Wahlrecht. Das
ReichstagswahlG, das GV, alle Landesverfas-
fungs G, sowie eine Anzahl anderer Gesetze, in
denen sich Vorschriften über Wahlen zu öffent-
lichen Aemtern finden, wie namentlich StO, LGO
usw# Pschließen diejenigen Personen von dem aktiven
und passiven Wahlrecht aus, welche öffentliche An
in dem der Wahl vorausgehenden Jahre empfan-
gen haben. Abgesehen davon, daß die praktische
Anwendung dieser Bestimmungen erhebliche
Schwierigkeiten bietet, weil der Begriff der AU
zuverlässiger Feststellung vielfach nicht zugänglich
ist, begegnet die Versagung des Wahlrechts auch
ernsten sozialen und politischen Bedenken: Soll
die Versagung des Wahlrechts nach übereinstim-
mender Auffassung auf diejenigen beschränkt blei-
ben, die in eine so starke wirtschaftliche Abhängig-
keit geraten sind, daß sie aus eigenen Kräften sich
nicht mehr zu erhalten vermögen, so trifft dieser
Gesichtspunkt keineswegs mehr zu da, wo es sich
um Einzelfälle von Krankheit, vorübergehende
Arbeitslosigkeit u. dgl. handelt oder wo ein ein-
zelnes Glied der Familie durch schweres körper-
iches oder geistiges Gebrechen der dauernden
Hilfe bedarf, die nach dem Grundsatz der Familien=
einheit als U des Familienhaupts betrachtet wird.
Nachdem vielfach die Beseitigung der einschrän-
kenden Bestimmungen gefordert war, u. a. auch
von dem Ver Apfl, ist das R v. 15. 3. 09 er-
lassen. Es wird darin bestimmt, daß, soweit in
Reichsgesetzen der Verlust öffentlicher Rechte von
dem Bezug einer Al abhängig gemacht wird,
als Au nicht anzusehen sind: die Kranken U; die
einem Angehörigen wegen körperlicher oder gei-
stiger Gebrechen gewährte Anstaltspflege: U zum
Zwecke der Jugendfürsorge, der Erziehung oder
der Ausbildung für einen Beruf; sonstige U, wenn
sie nur in der Form vereinzelter Leistungen zur
Hebung einer augenblicklichen Notlage gewährt
sind; U, die erstattet sind. Da dieses Gesetz sich
auf das Reich beschränkt, bedarf es entsprechender
esetzlicher Bestimmungen für die einzelnen
undesstaaten, deren Erlaß wohl in nächster Zeit
zu erwarten steht.
IV. Das Krmenwesen in den Schutzgebieten 1)
Das Gesetz über den UW v. 30. 5. 08 (Rl
381 ff) gilt in den Schutzgebieten nicht, weil es
dem öffentlichen Recht angehört. Es gibt in den
Schutzgebieten weder LA# noch O V.
Eine von diesem Reichsgesetze unabhängige all-
gemeine Regelung des A. hat in den afrikanischen
und Südsee-Schutzgebieten bislang nicht statt-
gefunden. Die Notwendigkeit öffentlicher U be-
dürftiger Personen hat sich jedoch auch in den
Schutzgebieten seit langen Jahren gezeigt. In
den tropischen trat sie besonders in der Form zu-
tage, daß weiße Angestellte der angesessenen Fir-
men aus irgend einem Grunde ihre Stellung ver-
loren und bedürftig wurden. Um zu verhindern,
daß Weiße vor den Augen der Eingeborenen in
Armut untergingen und dadurch das Ansehen der
weißen Rasse schädigten, haben sich die Schutz-
gebiets Berw veranlaßt gesehen, stellungslos ge-
wordenen Angestellten aus öffentlichen Mitteln
den notwendigen Unterhalt bis zur nächsten
Dampfergelegenheit und freie Fahrt nach Europa
zu gewähren. Der Fiskus suchte sich in der Folge
vor diesen Kosten dadurch tunlichst zu schützen,
daß den Geschäftshäusern, welche diese Ange-
stellten für die Schutzgebiete angeworben hatten,
1) Dieser Abschnitt ist von Meyer-Gerhard
bearbeitet.