Arzt (Rechte und Pflichten)
233
diger. Die Verpflichtung des A., sich als
Zeuge oder Sachverständiger vernehmen zu las-
sen, schriftliche Gutachten abzugeben usw.,
besteht zwar nur gegenüber den ordentlichen
Gerichten, den diesen gleichgestellten Verw-Ge-
richten, den Schiedsgerichten für die Arbeiterver-
sicherung sowie gegenüber den PolBehörden;
gleichwohl wird er sich auch den Berufsgenossen-
schaften, Landesversicherungsanstalten und ande-
ren Behörden gegenüber dieser Pflicht nicht ent-
ziehen können (preuß. EGHf 5. 5. 03 u. 27. 5. 07).
Der A. ist auch verpflichtet, die zur Abgabe eines
Gutachtens erforderlichen sachverständigen Unter-
suchungen vorzunehmen; die Frage; ob dazu auch
die Vornahme einer Obduktion gehört, ist von den
Gerichten bisher nicht übereinstimmend entschie-
den. Die Ausstellung unrichtiger ärzt-
licher Zeugnisse und Gutachten über
den Gesundheitszustand eines Menschen zum Ge-
brauch bei einer Behörde oder Versicherungs-
gesellschaft ist nach § 278 StGB unter Strafe
(Gefängnisstrafe von 1 Monat bis 2 Jahre) ge-
stellt, falls sie wider besseres Wissen oder leicht-
fertig geschieht; eine Bestrafung kann auch dann
eintreten, wenn der GesZustand an sich richtig
dargestellt ist, aber wesentlich unrichtige Schluß-
folgerungen gezogen sind (Urt. d. R v. 21. 9. 93
und 29. 9. 95). Durch fahrlässige Ausstellung
wichtiger Atteste verletzt der A. außerdem seine
Standesehre (Urt. d. preuß. EGGofes v. 4. 5. u.
30. 6. 03, 10. 1. u. 30. 10. 05 und 19. 12. 08).
Desgleichen ist er für einen etwaigen, durch die
wissentliche oder leichtfertige Ausstellung der-
artiger Zeugnisse entstehenden Schaden haft-
pflichtig.
Nach den §#§ 52 u. 76 Str PO und §# 383 u.
408 8PO ist der A. zur Verweigerung
seines Zeugnissesoder Gutachtens
in Ansehung dessen berechtigt, was ihm bei Aus-
übung seines Berufes anvertraut ist; nur im Fall,
daß er von der Verpflichtung zur Verschwiegen-
heit entbunden ist, darf er sein Zeugnis oder Gut-
achten nicht verweigern. Um diese Wahrung
des Berufsgeheimnisses sicherzustel-
len, wird in § 300 St GB eine Geldstrafe bis zu
1500 Mark oder Gefängnis bis zu 3 Monaten für
die unbefugte Offenbarung von Privatgeheim-
nissen angedroht, die dem A. kraft seines Standes
oder Gewerbes anvertraut sind. Das Recht zur
Zeugnisverweigerung und die Pflicht zur Wahrung
des Berufsgeheimnisses gilt auch gegenüber ver-
storbenen Patienten; nach deren Tode ist dem-
zufolge ein Entbinden davon überhaupt ausge-
schlossen (RG 23. 4. O6). Durch die Ablegung eines
vom Richter geforderten Zeugnisses wird ein A.
auch ebensowenig von der Schweigepflicht ent-
bunden wie der beamtete A. durch die ihm von
seiner vorgesetzten Behörde erteilte Genehmigung
der Zeugnisablegung. Für den Begriff „An-
vertrauen" von Privatgeheimnissen ist es nicht
erforderlich, daß diese dem A. unter ausdrück-
licher Auflage der Geheimhaltung mitgcteilt
sind, sondern es genügt, wenn sie in Ausübung
seines Berufes zu seiner Kenntnis gelangt sind.
Voraussetzung der Bestrafung ist allerdings eine
unbefugte, also gegen den Willen des An-
vertrauenden erfolgte Offenbarung; eine solche
ist jedoch nicht anzunehmen, wenn sie betreffs
Wahrung besonderer Rechte des A. (z. B. als Be-
weis für Honorarforderungen oder gegen den
Vorwurf eines Kunstfehlers) oder auf Grund ge-
setzlicher Bestimmungen (z. B. Anzeige bei über-
tragbaren Kr, behufs Verhütung gemeingefähr-
licher Verbrechen(§F139 StGBj#10 usw.) oder sittlich
zwingender Pflichten entweder geboten oder we-
nigstens zulässig ist. In letzterer Hinsicht hat das
RG (19. 1. 03 und 16. 5. 05) entschieden, daß auch
höhere sittliche Pflichten, Berufspflichten, anzu-
erkennen sind, vor denen die Rechtspflicht zur Ver-
schwiegenheit zurücktreten muß. So kann es z. B.
unter Umständen für den A. geboten erschei-
nen, der Ehefrau von der geschlechtlichen Erkran-
kung ihres Mannes Kunde zu geben, um eine An-
stechung derselben nach Möglichkeit zu verhindern;
eine solche moralische Mitteilungspflicht kann un-
ter Umständen auch einer dritten Person gegenüber
vorgenommen werden (gleicher Standpunkt preuß.
EGHof 27. 9. 07).
Ebenso wie der A. zur Zeugnisverweigerung
berechtigt ist, kann er nach § 95 St P auch nicht
zur Herausgabe etwaiger in seinem Besitz
befindlicher Beweismittel für eine Straf-
tat gezwungen werden, soweit er diese in Aus-
übung seines Berufes erhalten hat, z. B. Briefe
von Kranken, Krankengeschichten usw.
12. Strafrechtliche VBerantwortung; Haft-
pflicht. 1. Mit Strafe bis zu 5 Jahren Gefäng-
nis werden nach 174 Nr. 3 St Gldie in Gefäng-
nissen, öffentlichen Kranken= usw. Anstalten be-
schäftigten oder angestellten A. bedroht, wenn sie
mit den hier ausgenommenen Personen unzüch-
tigeHandlungen vornehmen:; dieselbe Strafe
trifft denjenigen A., der bei Schwangeren mit ihrer
Einwilligung Mittel zur Abtreibun goder Tö-
tung der Frucht angewendet oder ihnen bei-
gebracht hat; bis 10 Jahre, wenn diese Tätigkeit
gegen Entgelt erfolgt ist (5 218 Abs 3 u. 5 219
St GB). Ist die Fruchtabtreibung vorsätzlich und
ohne Wissen und Wollen der Schwangeren er-
folgt, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter 2 Jahren,
und, wenn der Tod der Schwangeren dadurch
verursacht ist, Zuchthausstrafe nicht unter 10 Jah-
ren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein.
Sieht sich ein A. zur Einleitungdes künst-
lichen Aborts oder der künstlichen
Frühgeburt oder zur Zerstückelung
bezw. Perforation eines Kindes
gezwungen, um das Leben der Mutter zu retten
so macht er sich keiner Rechtswidrigkeit schuldig,
da die pflichtgemäße Ausübung seines Berufes
die Rettung der Mutter, nötigenfalls unter Ver-
nichtung des zu einer Selbständigkeit noch nicht
gelangten und deshalb noch einen Teil der Mutter
bildenden, in der Geburt befindlichen Kindes ge-
bietet. Dieser von vielen Rechtslehrern (Ols-
hausen, v. Lilienthal, van Calker)
geteilte Standpunkt schließt die Anwendung der
#) In Bavernist s. B. der A., der bei Bornahme einer
Sektion die Spuren eines an dem Verstorbenen verübten
Berbrechens entdeckt, bei Meidung einer Geldstrafe von
150 M. verpflichtet, davon der Pol Behörde oder dem Staats-
anwalt Anzeige zu machen. In Baden ist den A. durch
B v. 11. 12. 83 die Verpflichtung auferlegt, der zuständigen
Behörde die ihnen bei Ausübung ihres Berufes bekannt-
werdenden gewaltsamen Todesfälle, lebensgefährlichen Kör-
perverletzungen, Vergiftungen oder Verbrechen wider das
Leben mitzuteilen.