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Arzt
s# 218—220 auf die aus medizinischen Gründen
vorgenommene Fruchtabtreibung usw. aus. Das
Reichsgericht hat in seinen Urteilen v. 29. 4. 99
3. 7.03 u. 11.3.09 Straflosigkeit als Notstandshand-
lung (F 54 St GB) angenommen, während von an-
derer Seite die Anwendbarkeit der vorher genann-
ten zz auf den medizinischen Abort grundsätzlich
verneint wird, weil diese lediglich die in rechtswid-
riger Absicht die Tötung der Frucht be-
zweckende Fruchtabtreibung ahnden wollen, keines-
wegs aber den zur Rettung der Mutter
dienenden operativen Eingriff des A. Voraus-
setzung der Straflosigkeit ist allerdings nicht bloß
die Einwilligung der Mutter oder ihres Vertreters
(bei Bewußtlosigkeit), sondern vor allem auch sorg-
fältige Abwägung aller Umstände, die den beab-
sichtigten Eingriff nach dem Grundsatze der medi-
zinischen Wissenschaft notwendig machen. Die
Besorgnis einer drohenden und besonderen Le-
bensgefahr für die Mutter muß jedenfalls be-
gründet sein; liegt aber ein solcher Notstand vor,
dann ist der A. sogar verpflichtet, den erforderlichen
Eingriff entweder selbst zu machen oder die Zu-
ziehung eines zweiten A. deshalb zu veranlassen;
er würde sonst sich einer fahrlässigen und nach den
§§ 222 u. 230 StGB strafbaren Tötung oder
Körperverletzung schuldig machen, falls infolge
dieser Unterlassung eine GesBeschädigung oder
der Tod der Schwangeren verursacht wäre. Die
gleichen Strafvorschriften finden selbstverständlich
Anwendung, wenn ein A. bei Ausführung künst-
licher Frühgeburten usw. die erforderliche Auf-
merksamkeit und Sorgfalt außer Acht gelassen und
dadurch einen ungünstigen Ausgang für die
Schwangere, oder infolge irrtümlicher Diagnose
(Nichterkennen der Schwangerschaft) durch sein
aus anderen Gründen erfolgtes Eingreifen eine
vorzeitige und unter den obwaltenden Um-
ständen nicht gebotene Geburt herbeigeführt hat.
Ein solches Vergehen fällt unter die sog. „ärzt-
lichen Kunstfehler“, deren Begriff aller-
dings im Strafgesetzbuch nicht festgelegt ist. Maß-
gebend dafür sind lediglich die S§s 222 u. 230 StGB,
nach denen fahrlässige Tötung mit Gefängnis bis
zu vier Jahren, fahrlässige Körperverletzung mit
Geldstrafe bis zu 900 M. oder Gefängnis bis zu
zwei Jahren bestraft wird und diese Strafe auf
fünf bezw. drei Jahre erhöht werden kann, wenn
der A. dabei die Aufmerksamkeit aus den Augen
setzte, zu der er vermöge seines Berufes besonders
verpflichtet war; im letzteren Falle erfolgt auch
Strafverfolgung von Amts wegen und nicht bloß
auf Antrag wie bei andern fahrlässigen Körper-
verletzungen. Fahrlässiges Handeln eines A., also
ein ärztlicher Kunstfehler, ist sowohl in einem Ver-
stoß gegen die allgemein gültigen Regeln der
Heilkunst, als in einem Mangel der erforderlichen
Sorgfalt und Vorsicht sowie in der Unterlassung
eines notwendigen Vorgehens zu erblicken, denn
eine solche Unterlassung ist im gegebenen Falle
ebenso strafbar wie die Vornahme eines kunstwid-
rigen Eingriffes oder die verkehrte Ausführung
eines an sich zweckmäßigen Eingriffes. Fahr-
lässigkeit ist auch bei Verkennung der Folgen an-
zunehmen, desgleichen dann, wenn ein A. es ver-
absäumt hat, sich die für den Einzelfall erforder-
lichen besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten zu
erwerben, und diesen Mangel nicht durch Zu-
ziehung eines andern Sachverständigen ersetzt,
sondern z. B. eine Operation usw., zu deren Aus-
führung ihm die nötige Geschicklichkeit feblt, trotz-
dem ohne geeigneten Beistand und ohne daß
ein Notstand vorlag, selbst vorgenommen hat. Eine
wissenschaftliche Berechtigung des A., eine neue,
noch unerprobte Methode anzuwenden, kann als
Strafausschließungsgrund nicht anerkannt werden;
der A. ist vielmehr für jede GesBeschädigung in-
folge der von ihm verordneten Kurmittel usw.
verantwortlich. Voraussetzung für die Bestrafung
ist allerdings der Eintritt eines rechtswidrigen Er-
folges (Ges Beschädigung oder Tod) und eines ur-
sächlichen Zusammenhangs zwischen diesem und
dem ärztlichen Kunstfehler. Irrtümlich ist weiter-
hin die Annahme, daß dem A. in Bezug auf die
Vornahme von Operationen ein Be-
ru fsrecht zusteht; dieselben sind vielmehr als
rechtswidrige vorsätzliche Körperver-
letzungen anzusehen, wenn ihre Ausführung
ohne Einwilligung des Patienten oder dessen ge-
setzlichen Vertreters erfolgt (Re v. 31. 5. 94).
„Ein besonderes Berufsrecht, vermöge dessen ein
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines An-
deren ohne oder selbst mit dessen Willen erlaubt
ist, steht grundsätzlich auch dem A. nicht zur Seite.
Eine vorsätzliche widerrechtliche Körperverletzung
liegt vielmehr vor, wenn der A. weiß, daß eine
gültige Einwilligung fehlt, und daß er im Wider-
spruch gegen den Willen des Patienten oder des
sonstigen Einwilligungsberechtigten handelt“ (Re
24. 7. 08). Nur bei drohender Lebensgefahr und
wenn wegen Bewußtlosigkeit, Geisteskrankheit, Un-
zurechnungsfähigkeit des Kranken und wegen Ab-
wesenheit des gesetzlichen Vertreters die zuvorige
Einholung einer ausdrücklichen Zustimmung nicht
möglich war, trifft den A. kein strafbares Ver-
schulden; das Reichsgericht geht in dieser Hin-
sicht sogar noch etwas weiter, als es in seinem Urt.
v. 21. 6. 07 einen entschuldbaren Rechtsirrtum auch
für den Fall zuläßt, daß der A. in gutem Glauben
eine stillschweigende Zustimmung angenommen
und eine ausdrückliche um so mehr für nicht erfor-
derlich erachtet hat, weil er diese nach Lage der
Verhältnisse als sicher voraussetzen durfte.
2. Verpflichtung zum Schadensersatz.
Ganz abgesehen davon, daß der A. in allen Fällen
der Körperverletzung auf Verlangen des Verletzten
neben der Strafe auf eine an diesen zu erlegende
Buße bis zum Betrage von 6000 Mark verurteilt
werden kann (5 231 St G/), ist er auch zivil-
rechtlich nach den 5#. 823 u. 824, 842—847 und
852 des BGB für den von ihm durch fahrlässige
(Kunstfehler) und vorsätzliche Körperverletzung und
Tötung, sowie durch unzüchtige Handlungen, Aus-
stellung falscher Zeugnisse, Nichtbefolgen der An-
zeigepflicht bei ansteckenden Kr, unbefugte Offen-
barung von Berufsgeheimnissen usw. erwachsenen
Schaden verantwortlich. Der A. ist derartigen
Klagen um so leichter ausgesetzt, als schon wegen
leichter Körperverletzungen Strafverfolgung von
Amts wegen eintritt und bei erfolgter Verurteilung
die Zivilklage in der Regel nicht auszubleiben.
pflegt. Die Haftpflichtprozesse gegen A. haben
daher in den letzten Jahren erheblich zugenom-
men und können bei Verurteilungen zu sehr erheb-
lichen materiellen Verlusten führen, gegen die
sich die A. meist durch Haftpflichtversicherung
schützen.