Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Bayern (A. Verfassungsgeschichte) 
der verliehenen Edelmannsfreiheit geübt. Die 
durch den 60. Freiheitsbrief (1557) verliehene 
Edelmannsfreiheit und die in ihr enthaltene 
niedere Gerichtsbarkeit blieb trotz der Erweite- 
rungsbestrebungen auf den bayer. Uradel be- 
schränkt (Rosenthal 2, 35). Daneben bestanden 
Sondergerichte, Salz= und Bergwerkgerichte, 
Akademische Gerichte, Wechselgerichte (1776). 
Die Verwaltungsorganisation war 
zwar im wesentlichen landesherrlich und in den 
Kollegien des Geheimen Rats und der Geh. Kon- 
serenz sowie in der Ratskanzlei konzentriert. Es 
fehlte ihr aber an Einheit der Leitung und syste- 
matischer Gliederung der Geschäfte und nachteilig 
wirkte die konkurrierende Finanzverwaltungs- 
organisation der Landschaft und die Polizei der 
Patrimonialgerichte, während in den städtischen 
Verwaltungen zum Teil gesunde Keime von 
Selbstverwaltung aufgingen. 
In der landesherrlichen Verw Organisation be- 
stand lange Zeit ein Dualismus von Mittel- 
stellen in den landesherrlichen zentralen Kolle- 
gien Hofrat und Hofkammer einerseits und den 
provinzialen Regierungen und Rentmeistern an- 
dererseits. An die oberen Kollegien gliederten sich 
noch besondere Kollegien an. Der Hofrat war 
überwiegend Straf-, Appellations= und Ober- 
gericht. Daneben aber hatte er bis 1779 Geschäfte 
der Polizei und Aufsicht. Diese wurden ihm ab- 
genommen und der durch Edikt v. 16. 8. 1779 
eingerichteten Oberlandesregierung übertragen. 
(Seydel a. a. O. 21 ff). Die Hofkammer war 
oberste Finanzbehörde. In den Regierungen 
liefen provinziell Geschäfte der Strafjustiz, Polizei 
und Finanzsachen zusammen. Die Rentmeister 
waren sowohl Mitglieder des Hofrats oder der 
Regierung, als auch hatten sie Sonderfunktionen 
insbesondere die Kontrolle in Finanzsachen und 
Rechtspflege, daneben aber auch in Sachen der 
Schul-, Kirchen-, Sitten-, Wirtschafts-, Verkehrs-, 
Nahrungsmittelpolizei und im Rechnungswesen. 
Als Spezial--Ober= und Mittelbehörden be- 
standen der geistliche Rat, der Hofkriegsrat, das 
Kommerzkollegium, das Bücherzensurkollegium, 
das collegium medicum, die Schulkuratel, Behör- 
den der Regalien Verw und besondere Deputa- 
tionen. 
Als untere Behörden der landes- 
herrlichen Verw bestanden für alle Zweige der 
inneren Polizei die Vorstände der kurf. Land- 
und Pfleggerichte, die Pfleger, und neben ihnen 
in den Städten Rat und Bürgermeister. 
4. Staat und Kirche. Die Kirchenhoheit 
wurde als Bestandteil der Landeshoheit durchaus 
im katholischen Sinne geübt. Andre Konfessionen, 
als die katholische, wurden rechtlich nicht anerkannt, 
Andersgläubige, höchstens geduldet, hatten nicht 
das Recht der Niederlassung, des Gewerbebetrie- 
bes und konnten im Staatsdienste nicht angestellt 
werden. Die Schulverwaltung wurde durchaus 
im Sinn des katholischen Glaubens und der katho- 
lischen Kirche geleitet. Der Landesherr übte die 
Kirchenaufsicht durch placet, recursus und Tem- 
poraliensperre. Ueber die Art der Ausübung der 
Kirchenaufsicht wurde zum erstenmal mit den 
Erz= und Hochstiftern am 5. 9. 1583 ein Konkordat 
abgeschlossen. 
#5 2. Die Entstehung des bahyerischen Staates. 
Borgänge der inneren Erneuerung, politische 
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch 2. Aufl. I. 
  
353 
Ereignisse und völkerrechtliche Akte wirkten zu- 
sammen, um das Territorium B. zu einem 
Staat zu erheben. 
Der Zusammenschluß des Gebietes erfolgte zu 
seinem gegenwärtigen Bestande durch die im 
Erbgange vollzogene Vereinigung der pfälzischen 
und der diesseitigen Länder, sodann durch die im 
Reichsdeputationshauptschluß v. 25. 2. 1803 an- 
geordneten zahlreichen Mediatisierungen kleiner 
Reichsstände und durch Gebietsverschiebungen 
und Erwerbungen infolge von Friedensschlüssen 
und andren Verträgen. Unter diesen waren für 
B. vor allem bedeutungsvoll der Preßburger 
Frieden v. 26. 12. 1805, der Rheinbundvertrag 
v. 12. 7. 1806, der Pariser Vt v. 28. 2. 1810, der 
Rieder Vt v. 8. 10. 1813, der Pariser Vt v. 3. 6. 
1814 und der Vt mit Oesterreich v. I4. 4. 1816. 
Die Pfalz, welche infolge des Lüneviller Friedens 
v. 9. 2. 1801 an Frankreich verloren gegangen 
war, gelangte durch diesen Vt mit Oesterreich 
endgültig wieder an Bayern. 
Aus den napoleonischen Kriegen ging B. trotz 
manchfacher Verluste, Schäden und Schulden 
doch als Staat gestärkt hervor. Die völkerrecht- 
liche Anerkennung als souveräner Staat erfolgte 
durch den Preßburger Frieden, welcher dem 
bayerischen Herrscher den Königstitel einbrachte. 
Die Annahme desselben wurde am 1. 1. 1806 
verkündigt. Am 12. 7. 1806 freilich trat B. dem 
Rheinbund bei und am I. 8. 1806 erklärte es seinen 
Austritt aus dem Reich. 
Wie die Auflösung des Reichs eine allmähliche 
war, so baute sich auch die Staatsgewalt in den 
ehemaligen Teilen des Reichs allmählich auf. 
In B. vollzog sich dieser innere Aufbau teils durch 
Konzentration und Erneuerung der Verw, teils 
durch einen siegreichen Kampf gegen die alte 
ständische Ordnung und ihre Rechtsvorstellungen, 
teils endlich auch durch eine völlige Erneuerung 
des Verhältnisses von Staat und Kirche. Aus den 
Trümmern und Wirren erhob sich die Monarchie 
zunächst zu einer absoluten. Die rechtliche Bin- 
dung dieser Staatsform nach den die Zeit beherr- 
schenden Jdeen der Konstitution folgte erst nach 
Vollendung der äußeren und inneren Festigung 
der Herrschaft. 
Die Konzentration der Staatsgewalt in der 
Verw dankt B. zum guten Teil dem staatsklugen 
und energischen ersten Minister des Königs Maximi- 
lian I., M. J. von Montgelas, der in der 
Zeit seines Wirkens als Minister (1799—1817) in 
allen Teilen die Seele der Reformen war. Ob- 
gleich die Hauptkraft des Staates durch die Pflege 
der äußeren Beziehungen und durch Kriege in 
Anspruch genommen war und die physischen, 
wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte des Vol- 
kes aufs äußerste angespannt waren, wurde 
doch der Staatsgedanke in den inneren Einrich- 
tungen mit unermüdlicher Arbeit und staunens- 
werter Folgerichtigkeit ins Leben umgesetzt. Die 
in zahlreichen Edikten durchgeführten Haupt- 
gedanken waren die folgenden. 
Der Begriff des Staatsamtes wurde gereinigt 
von allen hergebrachten ständischen Zutaten an 
Vorrechten, Anwartschaften und Vorteilen und 
auf sein eigentliches Element, das Staatsgeschäft, 
zurückgeführt. Der Staatsdienst aber wurde als 
ein reines Verhältnis des öffentlichen Dienstes 
neu geordnet. Das Staatsgebiet wurde als ein- 
23
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.