Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
  
Begnadigung 
  
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Gesetzliche Beschränkungen der Gnade sind mög- 
lich. Die Bestimmungen der Braunschweigischen 
Neuen LandesO §# 111, der Hessischen Verf à50, 
des Grundgesetzes für Sachsen-Meiningen & 106 
hinsichtlich der Wiederanstellung entlassener Staats- 
diener berühren aber m. E. nicht das B.Recht 
[JNauch Abolition und Ministerl. — Zu- 
rückhaltung ist ihrem Wesen entsprechend. B. 
müssen immer Ausnahmefälle bleiben. Nicht nach 
Willkür darf von der Gnade Gebrauch gemacht 
werden, sondern aus dem Gesichtspunkte höherer 
Gerechtigkeit, seien ihre Gründe im Einzelfall 
rechtlicher, sittlicher oder politischer Natur (vgl. 
Geyer in Holtzendorffs RL). — 
Obige Gründe rechtfertigen in gleicher Weise 
die B. i. e. S. wie die gnadenweise R. 
Letztere taucht auf in jener Zeit, da man sich be- 
wußt wurde, daß die lebenslängliche Dauer der 
Aberkennung der Ehrenrechte den Zwecken des 
Strafrechts nicht entspricht. Die Wirkung der B. 
reichte zur Remedur nicht in allen Fällen aus 
(vgl. § 5). Hierin liegt noch ein besonderer Recht- 
fertigungsgrund der R. Der Gerechtigkeitsge- 
danke erfährt aber außerdem bei der R eine be- 
sondere Nuancierung durch den auf die Besserung 
gegründeten Lohngedanken. Sie allein bezweckt, 
auf Grund der Besserung den frühe- 
ren Zustand wiederherzustellen (vgl. 5 3b). 
s 3. Rechtlicher Charakter. a) Begna- 
digung im engeren Sinne. Zurück- 
zuweisen sind die Auffassungen der B. 1. als 
Akt der Gesetzgebung, 2. als Aus- 
fluß der richterlichen Gewalt; zu- 
rückzuweisen die Auffassung, welche in der B. 
eine Verbindung von 1 und 2 sieht (Näheres 
Elsas 21 ff). Die B. erscheint als ein Regie- 
rungsakt, als Verwkt. Hier stehen sich 
weiterhin zwei Ansichten gegenüber, die eine 
sieht die Gnade als Verzicht an (Ginding, 
HB 863; v. Liszt, Lehrbuch!' § 75: RöSt 33, 
204), die andere als eigentümlich gearteten Be- 
  
fehl (Laband 3, 484 ff.; Meyer--Anschütz 640; 
RGSt 28, 418). Wenn von Laband gegen die Ver- 
zichttheorie angeführt wird, daß diese Annahme 
undenkbar sei, sobald man für den Staat eine 
Strafpflicht statuiere, da „der Verpflichtete sich 
nicht nach eigenem Gutdünken von der Pflicht 
befreien könne", so ist mit Binding (Grundriß) 
darauf hinzuweisen, daß Strafpflicht und Gna- 
denrecht hier in ein und derselben Hand vereinigt 
sind. Somit erscheint die Pflicht resolutiv bedingt 
und es ist ein Verzicht auf die Ausübung des 
Strafrechts wohl denkbar. Laband aber ist 
zweifellos zuzugestehen, daß in diesem Verzicht 
regelmäßig auch ein Befehl steckt. Und man wird 
gegen v. Bar (Gesetz und Schuld 3, 459) auch in 
jenen Fällen einen Befehl als gegeben ansehen 
können, in denen jemandem im Gnadenwege 
politische Rechte restituiert werden. — Die B. 
ist einseitig, d. h. nicht an die Annahme 
bezw. Zustimmung des Begnadigten gebunden 
(anders z. B. Schweden, Verf v. 6. 6. 1800 5 25. 
Vgl. bezügl. Abweichungen in Deutschland §& 5). 
— Die Zustimmung des Verletzten ist bei Erlaß 
einer öffentlichen Strafe nicht verlangt, doch kann 
die Wirksamkeit der B., wie von andern Bedingun- 
gen, so auch von dieser abhängig gemacht werden 
(so: Gnadenerlaß bei der Thronbesteigung Kaiser 
Friedrichs 1888) (J Bedingte Begnadigungl. 
  
  
b) Die Rehabilitation. Als Form 
der Gnade gilt zunächst auch für die R das zu a) 
Gesagte. Unterscheidend ist jedoch hervorzuhe- 
ben: Ist eine Beschränkung der B. auch möglich, 
so erscheint sie doch prinzipiell unbeschränkt und 
findet auf alle Strafen Anwendung. Die R ist 
prinzipiell beschränkt — auf Fälle des Ehren- 
rechtsverlustes — und an bestimmte Bedingungen 
gebunden: Antrag des Rehabilitanden, Straf- 
erstehung, Besserung. (Preuß. Gesetz über 
die Entziehung und Suspension ständischer Rechte 
wegen bescholtenen oder angefochtenen Rufes 
v. 23. 7. 47; Bayr. G v. 10. 7. 61, die Aufhebung 
der Straffolgen betreffend, Allerh. Vollzugs V 
dazu v. 4. 9. 61; Deutsche Heer O 1888, Anlage 5 
zu § 36; Bayr. Heer O, Anlage 8 zu § 36.) Dem- 
nach ist einmal R noch nicht Verurteilter undenk- 
bar. Weiterhin zeigt schon diese Form den Ge- 
danken „Lohnweiser Aufrechnung"“ (Oetker, Ger S 
67, 426). R ist gewissermaßen Kompensation. 
§s 4. Der Begnadigungsakt. „Er bedarf, in- 
soweit es sich nicht um Ausübung der B. durch 
eine Behörde handelt, der Kontrasignatur eines 
Ministers. Der Akt ist perfekt mit der Unter- 
zeichnung der kontrasignierten B. Urkunde durch 
den Träger der B. Gewalt. Bis zur Benachrich- 
tigung des Begnadigten oder einer Person für 
ihn, im Falle einer Amnestie bis zur öffentlichen 
Bekanntmachung derselben, ist aber der B. Akt 
widerruflich; nach diesen Akten ist er es nicht 
mehr“ (Seuffert, WVl). 
II. Wirkungen der Guade 
#5. Wirkungen der Begnadigung im engeren 
Sinne können sein: Straferlaß und Strafmilde- 
rung, Strafausschub und Strafunterbrechung 
(laussetzung) (hinsichtlich der beiden letzteren 
vgl. den Art. Strafvollstreckung). 
Mit dem Erlaß der Geldstrafe entfällt auch 
die subsidiäre Haftbarkeit Dritter. Erlaß der 
Hauptstrafe enthält nicht ohne weiteres den Ne- 
benstrafenerlaß. 
Die Strafmilderung ist entweder Teil- 
erlaß der Freiheits= oder Geldstrafe oder Um- 
wandlung der verhängten Strafe in eine mildere, 
da die B. nur zu Gunsten des Verurteilten er- 
gehen kann. Diese mildere Strafe darf nur eine 
nach dem Strafensystem des Reichsrechts zulässige 
sein. Ihr Maß darf das gesetzliche Höchstmaß 
nicht überschreiten. Als Milderung erscheint auch 
die Gestattung einer ratenweisen Tilgung der 
Geldstrafe. Die Umwandlung von Geldstrafe in 
Freiheitsstrafe hingegen dürfte nach einer in 
Theorie und Praxis vertretenen Auffassung nur 
mit Zustimmung des Verurteilten zulässig sein 
(so Frankreich), einmal aus dem Gesichtspunkte, 
daß die absolut mildere Natur der Geldstrafe zwei- 
felhaft er cheint (v. Bar 3, 478), dann mit Rück- 
sicht darauf, daß durch die Umwandlung der Ver- 
urteilte eine Leistung prästieren muß, zu der er 
rechtlich nicht verpflichtet ist (Seuffert, WBVerwR). 
Dem gegenüber ist aber allerdings für Deutschland 
darauf hinzuweisen, daß die Umwandlung von 
Freiheitsstrafe in Geldstrafe in den verschiedensten 
Staaten ohne die Zustimmung des Verurteilten 
durchgeführt wird (vgl. für Preußen das Restript 
v. 15. 11. 89 — I, 3505; für Württemberg die 
Kgl Entschließung v. 4. 6. 69; für Sachsen die
	        
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