Belagerungszustand
angenommen in den Ministerialerlassen v. 18. 5.
72 (GVBl 249) und 25. 4. 95 (GVBl 55), ebenso
von Bücher und v. d. Mosel S 103 (vgl. Reichstag,
StBer 1892, 7, 4525); dafür scheinen auch zu sein
die Systeme des Staatsrechts von Opitz 1 (1884)
238; Leuthold (1884) 243; O. Mayer (1909) 256.
— Der „Kriegszustand“ kann von dem Gesamt-
ministerium schon bei besonderer Gefahr für die
öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit erklärt
werden. Der militärische Oberbefehlshaber erhält
dadurch das Recht, die zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ruhe dienenden Maßregeln zu treffen,
auch Verordnungen mit Strafdrohungen zu er-
lassen (selbst Todesstrafe#), jetzt insoweit noch, als
sie nicht Materien des Reichsstrafgesetzbuchs be-
treffen und als sie sich in den Strafgrenzen des
5 Ec#z. St GB halten. Das Gesamtministerium
kann auch die „Bestimmungen der Gesetze und
der VuUl über Gerichtsstand, Verhaftung, Haus-
suchung, Briefgeheimnis, Presse, Vereins= und Ver-
sammlungsrecht zeitweise außer Kraft setzen“;
wegen der gegenwärtigen Tragweite vgl. oben A
und B l. Im Falle einer Aufhebung der Bestimmun-
gen über den Gerichtsstand kann (heut muß?)
der Oberbefehlshaber das Standrecht und dessen
sachliche Zuständigkeit (1) verkünden, mindestens
für die Fälle von §& 10 des preuß. Gesetzes. Das
Standgericht wird aus 1 Militärjustizbeamten und
wenigstens je 2 Offizieren und Richtern gebildet;
es hat binnen 24 Stunden zu erkennen und kann,
wenn sich die Wahrheit nicht sofort ermitteln läßt,
die Sache an das ordentliche Gericht verweisen; zu
verweisen hat auch der Oberbefehlshaber, wenn er
das Erkenntnis nicht bestätigt. Der Oberbefehls-
haber kann seine Ermächtigungen übertragen (§16).
III. In den andern Staaten, die ausdrück-
liche Anordnungen für den B. vor Gründung
des Reiches getroffen hatten, ist für eine Mi-
litärdiktatur kein Raum mehr, da sie durch
Militärkonventionen ihre Kontingentsherrlichkeit
aufgegeben haben. Also entfallen für Baden
die Bestimmungen der Gv. 29. 5. 51, den
Kriegszustand und Standrecht betr. (Rl 39, 43),
ebenso die entsprechenden für Anhalt (Bern-
burg) nach G v. 24. 3. 50. Soweit eine Zivil-
diktatur (Aufhebung von Freiheitsrechten)
vorgesehen ist, bleibt sie mit den Einschränkungen
erhalten, die sich aus der Einwirkung der Reichs-
gesetzgebung ergeben. Für Baden ist die Entschei-
dung nicht zweifelsfrei, man wird wohl bei dem Zu-
schnitte des Gesetzes auf die Militärdiktatur mit die-
ser das ganze Gesetz für unanwendbar halten müssen
(Bücher 60, Walz 312). Einschlagende Bestimmun-
gen treffen noch: Oldenburg im Staatsgrund-
gesetz a 54, Waldeck Staatsgrundgesetz § 158,
Hamburg Verf a 102, 103, Bremen Verf
§+520, ohne jedoch die Bezeichnung „Belagerungs-
zustand“ zu wählen; nur Oldenburg und Hamburg
übrigens sehen auch Ausnahmegerichte vor, Sach-
sen-Altenburg (Grundgesetz §45) lediglich diese.
Dem Wesen nach wird eine Zivildiktatur, wenn
auch nach dem zur Zeit geltenden Rechte ohne Ein-
setzung von Ausnahmegerichten, durch Bestim-
mungen ermöglicht, wie sie die VUl enthalten: in
Württemberg (5F 89: „Der König hat das
Recht, in dringenden Fällen zur Sicherheit des
Staates das Nötige vorzukehren"), in Hessen
(à 13), Lippe (G v. 8. 12. 67, 5 3), weniger in
Baden (6606).
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4. Bayern. Der Rechtszustand beruht
rechts des Rheins noch auf dem StG#
von 1813 Teil 1 a 323, Teil II a 441—456, in
Einklang gebracht mit der späteren Gesetzgebung
durch a 3 Z. 6 EG StGn v. 1861, a 3 Z. 12 A#z.
St GB v. 1871, à 2 Z. 1, a 3 Z. 11 Ach z. GV##
v. 1879, a 3 Z. 12 AG z. St PO v. 1879. Er hat
seinen Zusammenhang im wesentlichen mit dem
österreichischen, nicht mit dem französisch-deutschen
Rechte und ist bis zu einem Reichsgesetze über
den B. auch von der Entwicklung im übrigen
Deutschland nicht beeinflußt (Bündnis Vt#v.
23. 11. 70 III 8 5 unter VI); auch nicht im Falle
eines Krieges, da die Verhängung des B. nicht ein
Ausfluß des Oberbefehls ist. Aus demselben
Grunde könnte aber das vorgesehene Reichsgesetz
über den B. Rechtseinheit für Deutschland in Kriegs-
wie in Friedenszeiten schaffen (aM Seydel). Ge-
genwärtig kann das „Standrecht" angeordnet
werden (Verkündung unter Trommelschlag oder
Trompetenschall): a) entweder in Fällen, wo ver-
brecherische Unternehmungen aus §§ 80—82, 105,
115, 116, 125 St G soweit gediehen sind, daß
die Ruhe nur durch außerordentliche Gewalt
wieder hergestellt werden kann — hier durch die
Kreisregierung im Einvernehmen mit dem Ober-
landesgerichte (bei Gefahr im Verzuge auch ohne
dies) oder b) wenn Mord, Raub, Brandstiftung
in gewissen Gegenden ungewöhnlich überhand
nehmen (§ 4 EcG# z. StG ist für Bayern ausge-
schlossen!), besonders bei Bandenbildung, und die
ordentlichen Mittel zur Herstellung der öffent-
lichen Sicherheit fruchtlos geblieben sind — hier
nur vom Könige auf Antrag der Kreisregierung
nach Gutachten des OLG#und Vernehmen des
Staatsrats. Wirkung: Aburteilung der be-
zeichneten Delikte durch Standgerichte (5 Mitglie-
der (davon 3 Richter eines Land= oder Oberlandes-
gerichts, 2 Offiziere von mindestens Hauptmanns-
rang) in summarischem Verfahren; nur Todes-
strafe, die binnen 2 Stunden vollzogen werden
muß. Das Urteil muß mit 4: 1 Stimme gefällt
werden, sonst geht die Entscheidung an das ordent-
liche Gericht über. Wenn der Zweck des Stand-
rechts erreicht erscheint, kann das Standgericht
seine Tätigkeit einstweilen einstellen.
In der Pfalz gelten z. T. Bestimmungen
des französischen G v. 8. 7. 1791 und des Dekrets
v. 24. 12. 1811 (oben & 1), die jedoch nur auf be-
festigte Plätze und Militärstationen anwendbar
und in ihrer Tragweite zweifelhaft sind.
Ein militärischer B. ist noch durch die
insoweit fortgeltende MSt GO v. 29. 4. 69 (1872)
à 21, 22, 57, 58, 61, 169—180 vorgesehen. Aus-
nahmsweise sind den Militärstandgerichten auch
Zivilpersonen unterworfen: Bewohner eines in
B. erklärten Bezirks bei Straftaten aus §5 57—59,
34, 160, 161 MSt GB auf dem Kriegsschauplatze
oder besetztem ausländischem Gebiete.
#5. Elsaß-Lothringen. Nicht dem Namen
nach Verhängung des B. kam dem Statthalter zu,
wohl aber der Sache nach „bei Gefahr für die
öffentliche Sicherheit alle Maßregeln ungesäumt
zu treffen, die er zur Abwendung der Gefahr für
erforderlich erachtet“, insbesondere auch wie die
Militärbehörde nach dem franz. G v. H. 8. 49 für
den Fall des B. Haussuchungen vorzunehmen,
Ausweisungen, Abgabe von Waffen anzuordnen,
Veröffentlichungen und Vereinigungen zu ver-
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch, 2. Aufl. I. 26