Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
irgendwie behindert sein sollte“. Das vielberufene 
Gesetz hat zunächst nur Vorsorge treffen wollen 
gegenüber Störungen der verfassungsmäßigen Ver- 
waltung, welche nach dem Tode des Herzogs Wil- 
helm hätten eintreten können, und die man auch tat- 
sächlich besorgte, ist aus politischen Rücksichtnahmen 
aber verallgemeinert worden. Inhalts desselben 
übernimmt zunächst ein „Regentschaftsrat“", be- 
stehend aus den stimmführenden Mitgliedern des 
Staats Min, dem Präsidenten der Landesversamm- 
lung und dem Präsidenten des OL#, provisorisch 
die Regierung und führt sie (mit der alleinigen Be- 
schränkung, daß Verfassungsänderungen nicht statt- 
finden dürfen) so lange fort, bis entweder der 
Thronfolger nach Fortfall seiner Behinderung, 
bezw. bei Fortdauer derselben ein zur Regentschaft 
berechtigter Agnat die Regentschaft übernommen 
hat, oder aber bis ein Jahr seit der Thronerledigung 
verstrichen ist. Letzterenfalls wählt auf Vorschlag 
des Regentschaftsrats die Landesversammlung den 
Regenten aus den volljährigen, nicht regierenden 
Prinzen der zum Deutschen Reich gehörenden sou- 
veränen Fürstenhäuser. Eine so eingesetzte Regent- 
schaft wird durch einen Wechsel in der Person des 
berechtigten Thronfolgers an und für sich nicht 
berührt, sondern dauert fort, bis ein an der aktu- 
ellen Ausübung der Reg nicht behinderter Thron- 
folger die Reg antritt (authent. Ges.-Erklärung v. 
4. 12. 02). Die Huldigungseide sind während der 
Dauer einer derartigen Regentschaft nicht dem 
verbberechtigten Thronfolger“, sondern dem Re- 
zenten zu schwören (G. v. 12. 2. 86). Die dem 
egenten zukommende Zivilliste wird für jeden 
Einzelfall besonders vereinbart (Betrag für die 
Dauer der gegenwärtigen Regentschaft: jährlich 
1,125,32226 Mk., LA v. 7. 12. 07) und gleich dem 
landesfürstlichen Reservat aus den Erträgen des 
Kammerguts gezahlt. 
z 3. Die Landesversammlung. 
I. Zusammensetzung und Wahl. —Die 
Landesversammlung besteht (nach dem Gv. 6.5.99 
Nr. 31) aus 48 Abgeordneten, von denen 30 durch 
allgemeine Wahlen (15 in den Städten, ebensoviel 
in den Landgemeinden), die übrigen von „Berufs- 
ständen“ in besonderen Wahlen der einzelnen 
Gruppen derselben (der Geistlichen der evangel. 
Landeskirche, der höchstbesteuerten Grundbesitzer, 
öchstbesteuerten Gewerbetreibenden, wissenschaft- 
ichen Berufsstände und höchstbesteuerten Ein- 
kommensteuerpflichtigen) gewählt werden. Die 
allgemeinen Wahlen erfolgen als indirekte, 
im wesentlichen dem preußischen Dreiklassensystem 
entsprechend, doch muß in jeder Gemeinde die 
Zahl der Urwähler in der ersten Steuerklasse min- 
destens 5% , in der zweiten mindestens 20 % aller 
Wahlberechtigten betragen. Auch ist die Wahl eine 
geheime Die Einteilung der Klassen richtet sich 
nach dem Maß der zu zahlenden direkten Ge- 
meindesteuern. Als Urwähler sind wahlberechtigt 
die nach den Gem O wahlberechtigten Bürger oder 
(in den Landgemeinden) Gemeindegenossen (s.# 119). 
Die Wahlmänner müssen aus den stimmberechtig- 
ten Urwählern des Bezirks, in welchem die Wahl 
stattfindet, können aber aus allen 3 Steuerklassen 
enommen werden (WG v. 6. 5. 99, Nr. 32, §F 1). 
ligemeine Voraussetzung der Wahlberechtigung 
bei den Berufsständen: Alter von minde- 
stens 25 Jahren, volle Verfügungsfähigkeit, Besitz 
der bürgerlichen Ehrenrechte, braunschw. Staats- 
  
Braunschweig (Landesversammlung) 
  
517 
angehörigkeit, Wohnsitz im Herzogtum mindestens 
1 Jahr lang vor der Wahl. Die besonderen Vor- 
aussetzungen für jede Gruppe der Berufsstände sind 
gleichfalls im WG näher geordnet, hinsichtlich der 
Großgrundbesitzer nach dem Maß des Grundsteuer- 
kapitals, hinsichtlich der Gewerbetreibenden nach 
dem der Gewerbesteuer, hinsichtlich der Einkom- 
mensteuerpflichtigen nach der Veranlagung zur 
Staatseinkommensteuer, hinsichtlich der wissen- 
schaftlichen Berufsstände nach verschiedenen Rück- 
sichten (Hochschulstudium und Staatsprüfung oder 
Anstellung im Staats= oder Gemeindedienst, Zu- 
rücklegung des 30. Lebensjahres, und in allen 
Fällen mindestens 5 Jahre hindurch stattgefundene 
Ausübung des Berufs seit Erreichung jener Alters- 
stufe [AbgG v. 2. 3. 03 a II). Sümtliche 
Wahlen geschehen durch Abgabe verschlossener 
Stimmzettel seitens der in Person erschienenen 
Wahlberechtigten. Es entscheidet volle Mehrheit 
der abgegebenen (gültigen) Stimmen. Die Vor- 
nahme der Wahlen wird durch die Gegenwart 
einer bestimmten Mindestzahl der Wahlberechtig- 
ten nicht bedingt; unentschuldigt Ausbleibende 
trifst eine Versäumnisstrafe (von je 10 Mk.). Ueber 
Gültigkeit der Wahlen entscheidet die Landesver- 
sammlung, doch sind Vorbescheide der mit Auf- 
stellung der Wählerlisten beauftragten Behörden 
auf ergangene Einsprache gegen die Listenführung 
durch Klage bei dem VGH anfechtbar (WG 8 49, 
AbgG v. 2. 3. o3 a V VerwsRechtspflegeG g 66). — 
Die Wahlperioden der Landesversammlung wäh- 
ren 4 Jahre. Vor Beginn einer neuen Wahlpe- 
riode, wie nach Auflösung eines Landtages finden 
allgemeine Neuwahlen statt. Der Auftrag der ein- 
zelnen Abgeordneten erlischt mit dessen Nieder- 
legung, mit eintretender (körperlicher, wic gei- 
stiger) Unfähigkeit zu dessen fernerer Ausübung, 
mit Fortfall einer die Wählbarkeit bedingenden 
Voraussetzung, Annahme eines bisher nicht be- 
kleideten (nicht notwendig höheren) Staats= oder 
Hofamts des Gewählten und mit dessen strafweiser 
Ausschließung wegen grober Verstöße gegen die 
Gesch O (Gv. 6. 5. 99 Nr. 31 § 11—13). — Auf 
jedem ordentlichen Landtage hat die Landesver- 
sammlung vor der ersten Vertagung einen Aus- 
schuß von 7 Mitgliedern und für jedes Mit- 
glied einen Stellvertreter zu wählen. Der Aus- 
schuß ist zu ergänzen, wenn seine Gesamtzahl 
auf 7 herabgesunken ist. Sein Auftrag erlischt 
mit der Eröffnung födes neuen ordentlichen Land- 
tages. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Aus- 
schuß auch nach einer Landtagsauflösung in Wirk- 
samkeit (ebenda § 14—18). 
II. Sitzungsperioden und Ge- 
schäftsformen. — Die Landesversamm- 
lung muß alle 2 Jahre (G v. 26. 3. 88 58 2) zu einem 
ordentlichen Landtage einberufen werden. Außer- 
ordentliche Landtage werden daneben nach Bedarf 
von der Landes Reg ausgeschrieben. Die Landes- 
versammlung kann aber auch „kraft althergebrach- 
ten Rechts“ in bestimmten Fällen (NLO # 113: 
plötzliche allgemeine Landesgefahr [so auch: Re- 
gentschafts# § 3 am Schlußj, Verletzung des 
Landesgrundgesetzes, Notwendigkeit der Ergän- 
zung des Ausschusses oder der Neubesetzung der 
Stelle des Landsyndikus) auf Einberufung durch 
ihren Ausschuß zu „Konvokationstagen“ zusammen- 
treten. Die letzte derartige Tagung hat im Jahr 
1830, nach der Vertreibung des Herzogs Karl, statt-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.