Briefgeheimnis
Briefgeheimnis
5 1. Beagriff. 32. Geschichtliche Entwickelung. §s## 3, 4. Die
objektiven und subiektiven Erfordernisse des 5 299 StGB.
4 5. Strafantrag, Strase und Verjährung.
B — Brief; Bö# — Briefgeheimnis; P — Post.]
#§# 1. Begriff. B ist ein populärer, ungenauer
Rechtsbegriff, unter dem man zweierlei versteht:
Einmal die öffentlichrechtliche Pflicht der Post
zur Wahrung des Geheimnisses der ihr zur Be-
förderung und Bestellung anvertrauten Sen-
dungen (sPostwesen, Brief-, Telegra-
phen= und Fernsprechgeheimnis]. Dieser posta-
lische Begriff B ist insofern ungenau, als
er nicht bloß B, sondern alle PSendungen
umfaßt, ist aber insofern wiederum zutreffend,
als er eine reine Geheimhaltungspflicht (also
auch Geheimhaltung des Inhalts offener Sen-
dungen, der Tatsache eines stattgehabten Brief-
wechsels) darstellt. Nur in diesem postalischen
Sinne erscheint das Wort Bo in der Ge-
setzessprache, und zwar in Deutschland zuerst in
den Verfassungen des 19. Jahrhunderts (zuerst
in Kurhessen 1831; auch RV von 1849, Preußen
1850 usw. Diese Bewegung geht auf die franz.
Revolution zurück — Ass. constituante, Dekret
v. 10. 8. 1790: „due le secret des lettres est
inviobable“). Zweitens bedeutet B die bürger-
lichrechtliche Pflicht von jedermann, das
Geheimnis fremder B und Schriftstücke zu wahren.
In dieser Beziehung ist der Begriff ein sehr vager.
Feste Form hat er nur insoweit, als die Strafnorm
des § 299 St# Breicht. Unter B in diesem zwei-
ten Sinne wird daher auch gemeinhin das in
5* 299 StEG#B enthaltene Verbot verstanden. Hier-
nach wird die unbefugte „Eröffnung" fremder
„verschlossener"“ B (Urkunden) als Verletzung des
B bezeichnet. Dem Schutze des Geheimnisses
fremder B dient jedoch &4 299 nur unvollkommen
(nur dem Schutze „verschlossener“ B) und nur
mittelbar, insofern nur die Brieferbrechung, nicht
die Kenntnisnahme vom B Inhalt und sein Verrat
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an Dritte bestraft wird. Der Verrat des Bonhalts,
von dem auf strafbare (5299) oder auf nicht straf-
bare Weise (z. B. durch Einsicht in auf dem Schreib-
tische liegende unverschlossene B) Kenntnis erlangt
wurde, ist, von besonderen unten zu nennenden
Ausnahmen abgesehen, an sich nicht strafbar und
hat auch Zivilrechtsfolgen nur insoweit, als da-
durch in einer „gegen die guten Sitten" ver-
stoßenden Weise vorsätzlich Schaden verursacht ist
(5s 826 BG#B). Wo jedoch beides nicht zutrifft,
z. B. auf dem weiten Gebiete der Indiskretionen,
versagt jede Rechtsfolge. Von einem BG in
dem Sinne, daß eine Pflicht zur Geheim-
haltung fremden Bßnhalts bestände, läßt sich
daher in diesem nichtpostalischen Sinne nicht reden.
Außer dem §* 299 gibt es zwei Gruppen von
Strafrechtsnormen, die mittelbar das Geheimnis
des B schützen: a) Deliktsnormen, die auf andere
Tatbestände berechnet sind und nur durch Reflex-
wirkung dem B dienen: §& 303 StEh B (Sach-
beschädigung); § 242 (Diebstahl); & 123 (Haus-
friedensbruch); 88 185, 186 (Beleidigung und
Kreditgefährdung); s§ 133, 136, 137, 274 Ziff. 1,
348 Abs 2 StGB. b) Deliktsnormen, die umge-
kehrt gerade den Geheimnisschutz bezwecken, nicht
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch 2. Aufl. I.
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notwendig jedoch das Geheimnis von Urkunden:
namentlich § 300 StE#, Schutz des Betriebsge-
heimnisses in der Reichsversicherungsgesetzgebung,
z. B. §§5 150, 151 GU Ve# (Fassung v. ö. 7.00), auch
&15 Margarine G v. 5. 6.97; Schutz des Geschäfts-
geheimnisses in §38 9, 10 G betr. den unlaut. Wett-
bewerb v. 7. 6. 09) vgl. H. Wolff, strafrechtl.
Schutz des Berufsgeheimnisses, 1908).
Im folgenden soll, da unter B , vom postali-
schen Sinne abgesehen, gerade das Verbot des
8 299 St GB verstanden wird, diese Strafnorm
erläutert werden.
§s 2. Geschichtliche Entwicklung der Straf-
norm. Ansätze zur Anerkennung des B finden
sich im römischen Recht, insofern z. B. das un-
befugte Eröffnen und Lesen eines in Verwahrung
gegebenen Testaments verboten war (I. 41 pr.
D. p, 2; I. 1 § 38 bD. 16, 3; I. 1 55, I. 2 D. 48, 10).
Eine ältere deutsche Bestimmung findet sich in der
Tyroler Landes O von 1532 (Buch 8, Tit. 29).
Die Carolina schwieg. Gemeinrechtlich wurde
mit einer actio injuriarum und namentlich mit
dem crimen falsi operiert. In letzterem Sinne
Preußen i. J. 1620, 1685, 1721. Aehnlich Bayern
1751 und die Theresiana v. 1768. Die moderne
Auffassung wurde durch das Preuß. Landrecht
angebahnt: ALn II, 20 §&.1370 strafte, ohne Rück-
sicht auf das Motiv, den, „der die B eines Anderen
ohne dessen Willen und ohne besondere Befugnis
öffnet". Das Bayer. StB von 1830, a 396,
dehnte den objektiven Tatbestand des Delikts er-
heblich aus, nämlich auf Urkunden und Akten,
und auf: Lesen und Abschreiben, Erbrechen, Lesen-
und Abschreibenlassen, verlangt dagegen nach
der subjektiven Seite die Absicht zu schaden oder
sich oder einem anderen Vorteil zu verschaffen.
Uebereinstimmend das Oldenb. St#, ähnlich
Hannover, Braunschweig, Württemberg. Einen
reinen Geheimnisschutz, Verbot des Eindringens
in fremde Geheimnisse in unerlaubter Weise, ent-
hielt das Sächsische StGB von 1838, a 324.
Diese Ausdehnung fand nicht Anklang. Das
Hessische SteB von 1841, a 410, näherte sich
wieder dem ALn, doch mit starker Betonung des
subiektiven Moments: Es straft die eigenmächtige
Eröffnung versiegelter B und Urkunden, wenn es
geschieht, um vom Inhalt Kenntnis zu nehmen
und in der Absicht zu schaden oder sich oder einem
anderen einen rechtswidrigen Vorteil zu ver-
schaffen. Das Preuß. StGB von 1851, + 280,
ging wieder ganz auf das ALR zurück, entnahm
jedoch dem Hessischen Gesetz die Ausdehnung des
Schutzes auf „versiegelte Urkunden“. Es bestrafte
hiernach den, „der versiegelte B und andere Ur-
kunden, die nicht zu seiner Kenntnis bestimmt sind,
vorsätzlich und unbefugt öffnet“. Diese Bestim-
mung war das unmittelbare Vorbild des Reichs-
rechts.
z 3. Die objektiven Erfordernisse des § 290
St G. 5 299 straft den, der „einen verschloss-
senen Brief oder eine andere ver-
schlossene Urkunde, die nicht zu
seiner Kenntnisnahme bestimmt
ist, vorsätzlich und unbefugter-
weise cröffnet“. Hiernach ist Urkunde der
weitere Begriff, B eine Unterart der Urkunde.
Letztere braucht „rechtserheblich" (5 267 St GB)
nicht zu sein. Aus der historischen Entwicklung
und Anlehnung an „Brief“ ist zu entnehmen, daß
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