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Civilliste
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6éä 6. Frankreich. In Frankreich hatte sich von
Alters her das eigentümliche Verhältnis gebildet,
daß der Privatbesitz des Königs bei seiner Thron-
besteigung dem unveräußerlichen Staatsgut ein-
verleibt wurde. Nach Beseitigung einer jeden
Mitwirkung der Reichsstände schaltete nun aber
der absolute König über das Staatsgut wie über
sein Privatvermögen mit gleicher Willkür und
Verschwendung. Die unwürdige Regierungs-
weise Ludwigs XV. erzeugte, vorzugsweise als
Folge der chronischen Finanznot, eine Auflehnung
der Gesellschaft gegen die monarchische Staats-
gewalt und gegen die privilegierten Stände, in der
französischen Revolution. Die damit auftretende
Idee der „Volkssouveränität“ sah in dem König
nur den Delegierten des Volks und seiner wirt-
schaftlichen Stellung nach einen Pensionär der
Nation, dem indessen nach Vorbild der englischen
C. ein festes Einkommen auf Lebenszeit zuzubil-
ligen sei. Durch Beschl v. 22. 11. 1790 erklärte die
Nationalversammlung alle Domänen einschließlich
ihrer: Vermehrungen durch das Privatgut des
Königs für „Nationaleigentum“. Durch zwei
spätere Beschlüsse wurde aber dem König eine
feste C. von jährlich 25 000 000 Frcs. auf Lebens-
zeit zugebilligt, und auch bei dem späteren Wechsel
der Dynastien wurde diese C. von 25 000 000 Frcs.
auf Lebenszeit als Normalbetrag behandelt. Als
Zusatz zu dieser C. verstand man damals auch die
in Frankreich sog. dDotation de la cou-
ronne,, d. h. den Inbegriff von unbeweglichen
und beweglichen Sachen, die der Substanz nach
ebenso als Nationaleigentum angesehen werden,
deren Genuß aber auf Lebenszeit dem Monarchen
zugestanden wird. Zu den unbeweglichen Bestand-
teilen der Krondotation rechnete man die Tuile-
rien und die übrigen königlichen Schlösser in
Paris, in Versailles, in den Umgebungen von
Paris und in einigen Provinzialstädten, die Por-
zellanmanufaktur zu Sevres, die Gobelinmanu=
faktur in Bauvais und einige Forsten; zu den be-
weglichen Teilen der Krondotation die Kronju-
welen, Statuen, Gemälde, Museen und noch einige
Kunstgegenstände.
Nachdem die Republik diese „Civilliste“ beseitigt
hatte, wurde sie unter Napolcon I. in der früheren
Weise wieder hergestellt und die „Krondotation“
durch einige Senatuskonsulte noch vermehrt. Nach
der Restauration wurde auch Ludwig XVIII. die
C. von 25 000 000 Fres. und die Krondotation auf
Lebenszeit bewilligt. Karl X. ließ sich bei seinem
Regierungsantritt nur eine Geldsumme von
25 000 000 Frcs. auf Lebenszcit bewilligen, wollte
aber von einer „Bewilligung" der Krondotation
nichts wissen, da dieselbe der Dynastie als erbliches
Eigentum zustehe.
Nach der Julirevolution wurde die letzterc Auf-
fassung durch Kammerbeschlüsse ausdrücklich ver-
worfen, für Louis Philipp eine C. von nur
12 000 000 Frcs. ausgesetzt und auch die Kron-
dotation nur auf Lebenszeit bewilligt. Wesent-
lich dassolbe Verhältnis führte Napolecon III.
durch Senatuskonsult v. 12. 12. 52 ein. Das
Rechtsverhältnis an der Krondotation wurde nun
dahin aufsgesaßt, daß das Eigentum der Nation,
die ouissance-““ aber dem zeitigen Souverän
gebühre, mit Befugnissen, die über die Recchte
eines Nießbrauchers wesentlich hinausgehen und
auch Aenderungen der Substanz nicht ausschließen.
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Dies Krongut war frei von Staatslasten, wurde
aber zu den Kommunalsteuern und Wegelasten
mit herangezogen.
Nach dem Zusammenbruch des zweiten Kaiser-
reichs wurde durch Dekret v. 6. 9. 70 die Wieder-
vereinigung des Kronguts mit den Staatsdomä-
nen ausgesprochen, die Privatdomänen des Kai-
sers unter Sequestration gestellt und für beide
Massen eine Liquidationskommission ernannt.
Der legale Sprachgebrauch hatte sich seit dem
Gv. 2. 3. 32 dahin gestaltet, unter C. nur die auf
Lebenszeit ausgesetzte jährliche Geldzahlung zu
begreifen, den Genuß an den Mobilien und Im-
mobilien des Kronguts dagegen als dotation de
la couronne zu bezeichnen. Dabei ist mit großer
Härte der Grundsatz beibehalten, daß der gesamte
Privatgrundbesitz eines Monarchen mit seinem
Regierungsantritt in das Staatseigentum über-
geht. Vergeblich hat Louis Philipp versucht, dieser
Konsequenz zu entgehen, indem er einige Tage
vor der Thronbesteigung sein Vermögen seinen
Kindern abtrat. Alle neu eintretenden Dynastien
haben sich bisher nicht abhalten lassen, das Ver-
mögen ihrer Vorgänger ganz oder teilweise ein-
zuzichen, die der Napolcons 1816, die der Bour-
bonen 1830, der Orleans 1852. Und begreiflicher-
weise hat auch die Republik keinen größeren Re-
spekt vor dem ehemaligen Privatgut gezeigt.
Der Präsident der Franz. Republik bezieht
gegenwärtig außer dem Nicßbrauchsrecht von
einigen Schlössern usw.: Dotation 600 000 Frcs.,
Haushaltskosten 300 000 Frcs., Reise= und Re-
präsentationskosten 300 000 Frcs.
#s# 6. Teutsches Reich. Der deutsche Kaiser als
solcher bezieht keine C., da der Allerhöchste Dispo-
sitionsfonds (Kap. 68 Tit. 1 des Reichshaushalts-
etats 3 Mill. Mk.) sowie andere Dispositionsfonds
(Kap. 83 Tit. 4, Kap. 41 Tit. 1, Kap. 64 Tit. 4)
nicht als solche gelten können. Doch wird dem
Kaiser von der Kaiserl. Marine ein Kriegsschiff
ständig zur Benutzung zur Verfügung gestellt.
Die dem König von Preußen durch seine Stel-
lung als Deutscher Kaiser erwachsene erhöhte Re-
präsentationspflicht hat, wie in § 3 erwähnt, im
Jahre 1889 mit zu einer Erhöhung der preu-
ßischen C. Anlaß gegeben.
& 7. Die deutschen Gliedstaaten im allgemeinen.
In den einzelnen deutschen Territorialstaaten hat
sich der Begriff der C. aus den Verhältnissen des
Kammerguts entwickelt. Die deutschen Landes-
herren befanden sich zur Zeit, als ihnen die Gra-
fengewalt und analoge kaiserliche Gewalten ver-
liehen wurden, ausnahmslos im Besitz ansehn-
licher Grundstücke und nutzbarer Einkünfte, welche
ungetrennt zu den Kosten des landesherrlichen
Hofhalts und der Landesregierung verwendet
wurden. Diesem ursprünglichen Allodialbesitz tra-
ten häufig, aber in sehr ungleichem Maße, Reichs-
güter hinzu, die ihnen zur Bestreitung ihrer Amts-
kosten verlichen waren. Weiter reihte sich daran
durch Kauf, Erbschaft und in späterer Zeit auch
ein durch massenhafte Säkularisationen von Stifts-
und Kirchengütern erworbenes Eigentum. Im
18. Jahrhundert fing man an, dieses Kammergut
als Domänen 1 zu bezeichnen, und es kam später
die Zeit, in welcher die Frage, ob die Domäne
ihrem Wesen nach Familien= oder Staatscigen-
tum sei, zu einer wichtigen staatsrechtlichen Streit-
frage wurde, für dic in dem Herzogtum Mei-