Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

Disziplin 
  
  
erweisen habe, die sein Beruf erfordert. Alle 
hierunter fallenden Pflichten haben ihre Wurzel 
in der besonderen Treu- und Gehorsamspflicht, 
die der B durch die Eingehung seines Dienst- 
verhältnisses zum Staate [Beamte 
5810 übernommen hat. Eine schuldhafte Verletzung 
jener Pflichten wird daher Dienstvergehen 
genannt. Während das Strafgesetz die Merk- 
male der Handlungen, die es unter Strafe 
stellt, genau bezeichnen muß, ist es nicht möglich, 
die Dienstvergehen in ein System zu bringen 
oder einen festbestimmten Tatbestand für die 
verschiedenen Arten von Dienstvergehen aufzu- 
stellen; es gibt vielmehr nur ein einziges allge- 
meines Dienstvergehen, nämlich die schuld- 
hafte Verletzung der Dienstpflicht, 
und nur dem Grade nach kann die Schwere der 
Verletzung verschieden sein. 
Fällt eine disziplinarisch verfolgbare Handlung 
gleichzeitig unter das Strafgesetz, so kann 
doch das Disziplinarverfahren immer nur auf 
die Feststellung gerichtet sein, ob die Handlung 
eine Verletzung der Dienstpflicht 
enthält. Denn der Begriff des Dienstvergehens 
liegt an sich außerhalb jeder Beziehung zu dem 
gesetzlichen Tatbestand eines strafrechtlich 
verfolgbaren Vergehens oder Verbrechens. (Vgl. 
oben § 1 am Ende.) 
§ 4. Dienstvergehen, die während eines 
früheren Tienstverhältnuisses begangen sind, 
bleiben auch in dem neuen Dienstverhältnis dis- 
ziplinarisch verfolgbar und unterliegen der Be- 
strafung durch die Disziplinarbehörde des späteren 
Amtes. Hat der B in seiner früheren Amtsstel- 
lung unter anderen Disziplinarvorschriften gestan- 
den als denjenigen, denen er gegenwärtig unter- 
worfen ist, so ist für das Verfahren und die Straf- 
folgen das Disziplinargesetz maßgebend, unter 
dessen Herrschaft der B nunmehr steht, während 
sich die Beurteilung der Tat nach demjenigen 
Disziplinargesetze richtet, unter dessen Herrschaft 
das Dienstvergehen begangen ist. Das Bayerische 
Bo verordnet in dieser Beziehung (à 112 Abs 1, 
entsprechend Richterdisziplinargesetz a 82): „Hat 
ein Beamter während seines früheren Dienstver- 
hältnisses als Richter, Notar oder als öffent- 
licher Beamter ein Dienstvergehen begangen, so 
unterliegt er auch hiewegen den Vorschriften die- 
ses Gesetzes“. Zweifelhaft ist die Frage, ob dieser 
Grundsatz auch Anwendung findet, wenn ein bun- 
desstaatlicher B in den Reichsdienst oder ein 
Reichs B in den Dienst eines Bundesstaates über- 
getreten ist. Die Frage kann wegen des engen 
Zusammenhangs zwischen Reichs= und Staats- 
dienst, wie er z. B. im a 18 der RV, in den 
88 19, 30, 46 und 57 ff des RBG sowie in dem 
für Preußen ergangenen AE v. 2. 2. 81 (MBliV 
46) zum Ausdruck kommt, mit gutem Grunde 
bejaht werden. Der Disziplinarhof in Leipzig hat 
jedoch in einem Erkenntnis v. 19. 5. 84 die diszi- 
plinare Verfolgung eines aus dem preußischen 
Staatsdienst in den Reichsdienst übergetretenen B 
verhältnis für unzulässig erklärt, weil aus den 
oben angezogenen Gesetzesvorschriften nicht zu 
solgern sei, daß der Gesetzgeber den Reichsdienst 
in jeder Beziehung als Fortsetzung des 
Staatsdienstes habe behandelt wissen, insbeson- 
dere die Strafgewalt der Reichsdisziplinarbehör- 
sie 
wegen Verfehlungen aus seinem früheren Dienst- 
  
den auf das Verhalten der Reichsbeamten in vor- 
her von ihnen verwalteten Staatsämtern habe mit 
erstrecken wollen. 
5. Disziplinarisch verfolgbare Handlungen, 
die keine Dienstvergehen sind. 
a) Handlungen vor der ersten 
Anstellung. Der Begriff des Dienstvergehens 
setzt eine Handlung voraus, die während eines 
bestehenden Dienstverhältnisses begangen ist. Ein 
B kann aber auch vor seinem Eintritt in den 
Staatsdienst, also zu einer Zeit, wo er noch keine 
Dienstpflichten hatte, eine Handlung begangen 
haben, deren spätere Entdeckung sein Ansehen 
derartig untergräbt, daß sein Verbleiben im Amte 
mit dem dienstlichen Interesse unvereinbar er- 
scheint. In dieser Beziehung schreibt Würt- 
temberg (a 73) und Baden (5 84) vor — 
ähnlich auch Bayern a 112 Abs 2 —, daß die 
Entfernung vom Amte auch wegen solcher Hand- 
lungen verhängt werden könne, deren sich der 
B. vor dem Eintritt in den Staatsdienst schul- 
dig gemacht habe, wenn dadurch das Ansehen des 
Biin dem Grade geschmälert sei, daß diese Maß- 
regel als geboten erscheine. Dagegen fehlt eine 
derartige Bestimmung im RB sowie in Preu- 
ßhen und den meisten übrigen Bundesstaaten. Man 
hat die hier offenbar bestehende gesetzliche Lücke 
durch die Deduktion auszufüllen gesucht, daß, 
wenn auch die Handlung selbst nicht als Dienst- 
vergehen bestraft werden könne, dennoch ein 
Dienstvergehen darin zu finden sei, daß der B, 
obwohl er sich eines sein dienstliches Ansehen ge- 
fährdenden Mangels an persönlicher Integrität, 
dessen Bekanntwerden seine Anstellung verhin- 
dert haben würde, bewußt sein mußte, dennoch 
sein Amt übernommen habe und fortführe. 
b) Handlungen nach Beendigung 
des Dienstverhältnisses. Während 
der mit Wartegeld in den einstwei- 
ligen Ruhestand versetzte Beamte, 
da er nur aus seinem Amte, nicht aber aus dem 
allgemeinen Dienstverhältnisse zum Staate aus- 
scheidet, allen Pflichten unterworfen bleibt, die 
nicht auf der Verwaltung eines Amtes beruhen, 
scheidet der dauernd in den Ruhe- 
stand versetzte Beamte auch im all- 
gemeinen aus dem Dienstverhältnis aus. Hieraus 
und aus dem Zwecke des Disziplinarstrafrechts, 
der in der Aufrechterhaltung der Ordnung des 
Dienstes und der Sicherung der Erfüllung der 
Dienstpflicht besteht, ergibt sich, daß der pensio- 
nierte B. der Disziplinarstrafgewalt nicht mehr 
unterworfen ist. Gegenteilige gesetzliche Vorschrif- 
ten bestehen aber in Bayern (BGa24, Richter- 
disziplinar G a 10, 167), Württemberg (BG 
àa 80), Sachsen (BE #l47) und Baden (B 
15, 110). Hier haben die B auch nach ihrem 
Uebertritt in den dauernden Ruhestand gewisse 
Pflichten zu erfüllen, deren Verletzung Diszi- 
plinarbestrafung nach sich zieht. In Bayern, 
Württemberg und Baden können gegen 
wegen Verletzung des Amtsge- 
heimnisses Ordnungsstrafen verhängt wer- 
den. In Bayern, Sachsen und Baden 
kann ferner gegen sie wegen unwürdigen 
Verhaltens im Disziplinarwege eingeschritten 
werden, in Bayern jedoch nur wegen solcher 
Handlungen, die gegenüber einem aktiven B Dienst- 
entlassung begründen würden (unten # 12). Die
	        
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