Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

Disziplin (Dienstvergehen) 
  
575 
  
Zulässigkeit disziplinaren Einschreitens auch wegen 
Handlungen, die ein aus dem aktiven Dienst ausge- 
schiedener B begangen hat, beruht auf der Erwä- 
gung, daß, wenn auch das Dienstverhältnis gelöst ist, 
der Pensionär doch seine BEigenschaft nicht ver- 
loren hat, diese vielmehr in der Weiterführung 
des Amtstitels und in dem Bezug eines staatlichen 
Ruhegehalts fortdauernd zum Ausdruck gelangt. 
Im Reiche und in Preußen können da- 
gegen Handlungen, die ein B nach dem Ueber- 
tritt in den dauernden Ruhestand begeht, niemals 
zum Gegenstand einer Disziplinarbestrafung ge- 
macht werden. Zwar hat der B, auch nachdem 
das Dienstverhältnis aufgelöst ist (vgl. 5 11 RB0O), 
eine Verschwiegenheit zu beobachten; 
allein die Verletzung dieser Pflicht ist nicht mit 
Strafe bedroht. 
#§# 6. Dienstvergehen, die zugleich gegen das 
Strafgesetz verstoßen. Der Begriff des Dienst- 
vergehens (oben §# 1 und 3) liegt an sich außerhalb 
jeder Beziehung zu dem gesetzlichen Tatbestande 
eines strafrechtlich verfolgbaren Vergehens 
oder Verbrechens. Gleichwohl sind der diszipli- 
naren Verfolgung von Dienstvergehen, die zu- 
gleich unter das Strafgesetz fallen, gewisse Schran- 
ken gesetzt: 
a) Verhältnis des Disziplinar-= 
verfahrens zu einem schwebenden 
gerichtlichen Strafverfahren. Die 
Einleitung eines Disziplinarverfahrens muß un- 
terbleiben und ein bereits eingeleitetes Verfahren 
ausgesetzt werden, wenn wegen der nämlichen 
Tatsachen eine gerichtliche Untersuchung einge- 
leitet ist (Bayern: wenn in einem strafrechtlichen 
Verfahren die öffentliche Klage erhoben oder in 
einem militärgerichtlichen Verfahren die Anklage 
verfügt worden ist, BG a 115). Diese Vorschrift 
gründet sich auf die Erwägung, daß es sowohl im 
Interesse des B wie in dem der Strafrechtspflege 
liegt, wenn nicht dieselbe Handlung zum Gegen- 
stand einer doppelten Untersuchung gemacht wird, 
daß ferner das strafgerichtliche Verfahren in vie- 
len Fällen von entscheidender Bedeutung für das 
Disziplinarstrafverfahren sein kann (s. unter b 
und c). Dagegen hindert diese Vorschrift an und 
für sich nicht die Einleitung eines Disziplinarver- 
fahrens auch wegen einer zugleich im gemeinen 
Strafrecht vorgesehenen Handlung, die sich als 
Dienstvergehen kennzeichnet, solange eine 
Untersuchung vor dem Strafrich- 
ter noch nicht eingeleitet ist. In- 
dessen wird die Disziplinarbehörde in der Regel 
der Staatsanwaltschaft Kenntnis zu geben haben, 
wenn sich im Laufe des Disziplinarverfahrens 
herausstellt, daß der Fall sich zur strafgerichtlichen 
Verfolgung eignet. 
b) Disziplinarverfahren im Fall 
eines vorausgegangenen strafsgec- 
richtlichen Urteils. 
1. Im Fall der Freisprechung findet 
wegen derjenigen Tatsachen, die in der gericht- 
lichen Untersuchung zur Erörterung gekommen 
sind, ein Disziplinarverfahren nur noch insofern 
statt, als diese Tatsachen an sich und ohne ihre Be- 
ziehung zu dem gesetzlichen Tatbestande der straf- 
baren Handlung, die den Gegenstand der Unter- 
suchung bildete, ein Dienstvergehen enthalten. 
Die Vorschrift beruht auf der Erwägung, daß es 
dem Wesen des Disziplinarstrafverfahrens wider- 
  
sprechen würde, wenn es dazu benutzt werden 
könnte, eine Strafe nachzuholen, die der Straf- 
richter zu verhängen abgelehnt hat. Als Beispiel 
für die Ausnahme kann dienen, wenn der B wegen 
Vergehens wider die Sittlichkeit angeklagt war, 
jedoch freigesprochen wurde, weil nicht alle Merk- 
male für den strafrechtlichen Tatbestand gegeben 
waren, immerhin aber eine — zwar nicht krimi- 
nell strafbare, aber — ärgerniserregende, den An- 
stand verletzende Handlung vorlag. Oder wenn 
ein B angeklagt war, amtliche Gelder unterschla- 
gen zu haben (5 350 Ste#B), aber freigesprochen 
wird, weil die Aneignung der amtlichen Gelder 
nicht erwiesen wurde; hier könnte immerhin noch 
wegen unordentlicher Kassenführung, Mangels 
an Sorgfalt in der Ansbewahrung der Gelder im 
Disziplinarwege eingeschritten werden. 
2. Ist eine Verurteilung erfolgt, die 
den Verlust des Amtes kraft Gesetzes nach sich 
zieht (Is 31, 33, 35 StB; Preußen ##.7 Diszi- 
plinarG, wonach auch die Verurteilung zu einer 
Gefängnisstrafe von längerer als einjähriger Dauer 
den Verlust des Amtes von selbst zur Folge hat) 
oder die direkt den Verlust des Amtes ausspricht 
(&& 81, 83, 84, 87—91, 94 95 StGVB), so ist für 
ein nachfolgendes Disziplinarverfahren kein Raum 
mehr. In allen anderen Fällen der straf- 
gerichtlichen Verurteilung kommt dagegen der 
Grundsatz der Selbständigkeit des Disziplinar- 
verfahrens gegenüber dem strafgerichtlichen Ver- 
fahren zur Geltung, wonach die kriminelle Be- 
strasung nicht ausschließt, daß der B wegen der- 
selben Handlung oder Unterlassung auch noch 
disziplinarisch zur Verantwortung gezogen wird. 
Im letzteren Falle ist streitig, ob der Dis- 
ziplinarrichter an die tatsächli- 
chen Feststellungen des Strafrich- 
ters gebunden ist: In Preußen wird 
die Frage vom Staatsministerium und dem 
Großen Disziplinarsenat des Kammergerichts 
verneint, dagegen vom Oberverwaltungsgericht 
(in Uebereinstimmung mit dem Kaiserlichen Dis- 
zipinarhofe und dem Disziplinarhof für die Schutz- 
gebiete) bejaht. Das Badische BG hat die 
Frage zugunsten der Gebundenheit des Diszi- 
plinarrichters entschieden (&§ 86 Abs 3). Wo aber, 
wie in Preußen und im Reiche, eine gesetzliche 
Regelung der streitigen Frage nicht stattgesunden 
hat, da muß der Grundsatz der Unabhängigkeit 
des Disziplinarverfahrens vom Strafverfahren 
gewahrt und der Disziplinarrichter als sowohl be- 
fugt wie verpflichtet erachtet werden, den Tatbe- 
stand nach seinem freien Ermessen zu beurteilen. 
87. Berjährung der Dienstvergehen. Weder das 
RB# noch die Gesetze der Bundesstaaten kennen 
eine Verjährung; denn das Interesse an der Rein- 
haltung des Beamtenstandes erfordert es, daß die 
Möglichkeit der Ausschließung unwürdiger Elemente 
jederzeit gegeben sei. In Bayern verjährt aller- 
dings die disziplinare Verfolgung von Dienstver- 
gehen in fünf Jahren (Bé3, RichterdG a 2); 
jedoch soll um zu verhüten, daß ein B wegen einer 
Handlung nocl strafrechtlich verfolgt und möglicher- 
weise zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt 
wird, während ein dienstliches Einschreiten wegen 
der gleichen Handlung ausgeschlossen wäre, die 
Verfolgung des Dienstvergehens nicht verjähren, 
solangc nicht auch die Strafverfolgung der Straf- 
tat verjährt ist
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.