Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
Doppelbesteuerung (Reich) 
  
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leine eigenen Staatsbahnen besitzen oder, soweit 
dies der Fall, diese nicht auf die Gebiete anderer 
Staaten ausgedehnt haben, ein erheblicher Teil 
von in ihrem Gebiete stationierten preußischen 
Bahnbeamten der St Pflicht entzogen. Um hier 
Abhilfe zu schaffen, ist nunmehr der §& 4 gänzlich 
beseitigt worden, sodaß die allgemeinen Vor- 
schriften des Gesetzes auch für das Diensteinkom- 
men von Beamten zu gelten haben. 
5. Unzulänglichkeit des Reichsgesetzes. 
In der Praxis ergeben sich eine Reihe von Grenz- 
fällen, bei denen die Auslegung Zweifel 
übrig läßt. Hauptfall: der Begriff des „Gewer- 
bes“ im Sinne des §& 3 D. G findet in verschiedenen 
Staaten eine verschiedene grundsätzliche Aus- 
legung. So wird z. B. nach sächsischem und 
hamburgischem Recht die Ausübung des ärztlichen 
Berufs als „Gewerbe“, in Preußen aber als 
„gewinnbringende Tätigkeit“, das Einkommen der 
Aerzte hier also nicht als gewerbliches, sondern 
als Arbeits einkommen betrachtet und be- 
steuert. In solchen Fällen hat man, um die aus 
einer rücksichtslosen Durchführung der in den ver- 
schiedenen Staaten bestehenden Rechtsauffassung 
folgenden Härten zu vermeiden, gegenseitige 
Bereinbarungen über die einheitliche 
Regelung getroffen (vgl. Mitteilungen aus der 
pr. Verw. d. direkten St Heft 33 S 39). Das 
sind indessen durchaus nicht etwa die einzigen 
derartigen, zwischen Einzelstaaten getroffenen 
Vereinbarungen. So hat Preußen z. B. mit 
mehreren Staaten eine Vereinbarung dahin 
getroffen, daß die vom Vater seinem in einem 
anderen Bundesstaate garnisonierenden Sohne 
in rechtlicher Form zugesicherte Gehaltszulage 
nur bei letzterem zu besteuern ist. Bremen hat, 
obgleich nach dortigem StRecht der Erbe für die 
Einkommensteuerpflicht des Erblassers bis Ende 
des Todesjahres haftet, mit Rücksicht darauf, daß 
in Preußen und vielen anderen Bundesstaaten 
das dem Erben zugewachsene Einkommen schon 
mit dem auf den Erbanfall folgenden Monat zu- 
gangsweise versteuert wird, auf Anregung Preu- 
bens bestimmt (Beschl des Senats v. 8. 5. 06), 
daß wenn in solchem Falle der Erbe in einem 
anderen Bundesstaate sofort zur St herangezogen 
wird, die Nachzahlungspflicht des Erben in Bre- 
men ebenfalls schon mit dem Monat des Erb- 
anfalls aufhöre u. a. m. In Preußen und in 
einigen kleineren deutschen Bundesstaaten ist das 
Fin Min u. Min Inn mit Rücksicht auf die häufige 
Wiederholung derartiger Streitfragen direkt durch 
Landesgesetz ermächtigt worden, mit den Regie- 
rungen anderer Bundesstaaten unter Wahrung 
des Grundsatzes der Gegenseitigkeit Verein- 
barungen zu treffen, durch welche be- 
husfs Vermeidung von D., die außerhalb des 
ahmens des Ru von 1870 liegen, die Heran- 
ziehung zur heimischen Einkommen St abweichend 
von den allgemeinen Vorschriften geregelt wer- 
den kann (Preußen G v. 18. 4. 00, GS 259, 52; 
Braunschweig G v. 17. 12. 00:; Lippe-Detmold 
Gv. 14. 3. 04, GS 14). Neuere Verträge auf die- 
ser Grundlage, namentlich behufs Vermeidung 
von D. des Einkommens aus einer Gesellschaft 
m. b. H. sind abgeschlossen zwischen Preußen 
und Hessen v. 24. 5./23. 9. 07 (Mitt. aus der 
Verw. der dir. St Heft 52 S 62 und Al des 
Hessischen Fin. Min 1908 S 113), sowie zwischen 
  
  
Preußen und Sachsen v. 20. 7./10. 8. 09 
(Mitt. Heft 53 S 34). 
Aber auch abgcsehen von diesen Vereinbarun- 
gen generellen Inhalts kommt die Erledigung 
einer ganzen Anzahl von Streitfällen häufig 
mehr auf ein gegenseitiges Ueber- 
einkommen ex gequo et bono zweier Staa- 
ten im Einzelfalle hinaus, als auf eine rechtliche 
Entscheidung durch den Bundesrat. 
Namentlich ist dies der Fall, wenn derselbe 
Gewerbebetrieb sich über mehrere 
Bundesstaaten erstreckt und die Steuer- 
berechtigung dieser Staaten an 
sich gegenseitig anerkannt wird, 
Streit aber darüber besteht, ein wie großer 
Teil der Einkünfte auf den einen und ein wie 
großer auf den andern Bundesstaat entfällt, da, 
anders als im Kommunalsteuerrecht, im D. Gesetz 
für Fälle dieser Art Grundlagen für den Ver- 
teilungsmaßstab gesetzlich nicht ausgesprochen sind. 
Es wird also hier, wenn durch zu starkes Zugreifen 
beider Staaten tatsächlich als Grundlage der 
Besteuerung ein Betrag genommen wird, der das 
Gesamteinkommen übersteigt (z. B. wenn der eine 
Staat 50%, der andere 750% des gewerblichen 
Gesamteinkommens heranzieht), ein Fall der D. 
vorliegen, den das D. Gesetz nicht regelt. In der 
Regel wird dann durch eine Korrespondenz zwi- 
schen den einzelstaatlichen Finanzministerien ein 
gegenseitiges Verständnis ad hoc herbeigeführt. 
In den besonders häufig vorkommenden Fällen, 
wo Leitung und Verkaufsstätte in einem andern 
Staate, als die Fabrikstätte liegen, wird von 
Preußen und den meisten anderen Staaten als 
Regel an dem Grundsatze festgehalten, daß jeder 
der beiden Bundesstaaten auf die Hälfte des ge- 
werblichen Einkommens zu Bestenerungszwecken 
Anspruch habe. Stellenweise greift man auch 
aushilfsweise auf die in dem Konmunalsteuerrecht 
vorgeschriebenen Vertcilungsgrundsätze zurück. Bei 
gewissen Betrieben geben landesgesetzliche Sonder- 
bestimmungen die Richtschnur, z. B. Bad. Eink. 
St G v. 20. 6. 84 a 5 Lit. 3 für Aktiengesellschaften; 
Preuß. Gv. 16. 3. 67 betr. die Eisenbahnab- 
gaben. 
Bei Erlaß der Novelle kam in Frage, ob die 
Bestimmung über die anteilige Heranziehung bei 
einem über mehrere Bundesstaaten sich erstrecken- 
den Gewerbebetriebe nicht noch durch Bestim- 
mungen über die Grundsätze zu ergänzen sei, nach 
denen bei Ausdehnung eines Betriebs über die 
Gebiete mehrerer Staaten die Teilung des Be- 
steuerungsrechtes zu erfolgen habe. Man hat in- 
dessen bei der Vielgestaltigkeit und individuellen 
Verschiedenheit der Fälle hiervon abgesehen; die 
Regelung ist also wie bisher besonderen, den Um- 
ständen des Einzelfalls in billiger Weise angepaß- 
ten Vereinbarungen der beteiligten Staaten vor- 
behalten. 
§ 6. Ueber die Art der Geltendmachung der 
aus dem D. Gesetz fließenden Rechte des St Pflich- 
tigen enthielt das R selbst keine Vorschriften. 
Es muß deshalb angenommen werden, daß das 
Reichsgesetz in dieser Beziehung stillschweigend auf 
die steuerrechtlichen Landesgesetze verweist. Die- 
sem Grundsatze entsprechend hat der St Pflichtige 
zunächst in dem Lande, bezw. den Ländern, wo 
er herangezogen wird, auf dem Wege der or- 
dentlichen ihm zustehenden Rechts- 
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