Abolition 53
schen Abgeordneten stammt, führt die Auslegung
noch nicht auf die rheinische St PO zurück, da der
Mehrzahl der Abgeordneten die altländische
Krim. O v. 1805 geläufig war. Dazu kommt aber,
daß in der Zeit zwischen Erlaß der oktr. VU und
der Beratung in den Revisionskammern das Straf-
verfahren für Altpreußen eine andere Regelung
durch die V v. 3. 1. 49 gefunden hatte. Diese V
allein zu Grunde zu legen (Siebenhaar, Heim-
berger, Arndt pr. B) geht nicht an, da die
Kammern doch nur den schon 1848 festgestellten
Wortlaut gebilligt haben. Ueberdies liefert auch
die V v. 1849 kein überzeugendes Ergebnis, da
sie nur die „Eröffnung" der U, nicht die „Einlei-
tung“ zum Kunstausdrucke erhebt (z. B. §§ 11,
39, 48, 75) und man aus §5 1, 47 sowie daraus,
daß auch das Verfahren der Staatsanwaltschaft
(Ueberschrift von Abschn. 1) als „Untersuchung“
bezeichnet wird, zwischen der „Einleitung“ und
der „förmlichen Einleitung“ wird unterscheiden
müssen. Ich glaube deshalb, daß man unter dem
Eindrucke der Verschiedenheit und des Wechsels
der Prozeßgesetze und bei der noch geringen Ver-
trautheit mit ihnen es vermieden hat, die Normie-
rung mit einem Fachausdrucke eines einzelnen
Prozeßgesetzes zu verknüpfen. Trotzdem können
die Kammern von einer bestimmten Vorstellung
bei der Normierung ausgegangen sein. Hierin
bestärkt noch der Umstand, daß die RV v. 1849
gleichfalls von einem Verbote der „Einleitung"“
von U spricht (dazu Bericht von Beseler in den
Sten. Ber. der Nationalversammlung VI 4680),
wohl um durch einen farblosen Ausdruck der Pro-
zeßrechtsverschiedenheit in den deutschen Staaten
Rechnung zu tragen. Für die Vorstellung der
preußischen Kammern zeigen m. E. den Weg die
Motive (1848) und ein Vorschlag des Zentralaus-
schusses der Ersten Kammer (Okt. 1849), da sie sich
trotz der Verschiebung in den politischen und in den
Varteiverhältnissen beide auf derselben Bahn
bewegen: die Motive lehnen die A. als Eingriff in
die richterliche Gewalt ab (loben § 1 am Ende).
Der Zentralausschuß unterscheidet „A. von Ver-
brechen, die noch nicht zur richterlichen Kognition
gekommen sind“ von der „Niederschlagung bercits
eingeleiteter Untersuchungen". Daraus folgere
ich, daß die Kammern unter einer „bereits einge-
leiteten" U denjenigen Stand des Verfahrens mein-
ten, bei dem es sich in der Leitung des Ge-
richtes befand. Das ist aber noch nicht der Fall,
wenn eine Voruntersuchung eröffnet ist (so H.
Seuffert in der 1. Auflage des Wörterbuchs, v.
Stengel, Arndt, Schwartz), da der Untersuchungs-
richter keine dem Wesen nach andere Aufgabe als
die Staatsanwaltschaft hat und die Sache bei ihm
noch nicht zur richterlichen „Kognition“ gekommen
ist im Ergebnisse übereinstimmend H. Schulze Pr.
StR #u II 352, Siebenhaar, Heimberger, O#G 18
Ss, indem es § 96 der pr. Kr O von 1872 entspre-
chend auslegte). Unbegründet ist danach die Behaup-
tung, daß in Preußen die Verfassung die Möglich-
keit einer A. ausschließe (Binding, Finger, Fritz-
schen) oder, was dem nahe käme, daß die A.
schlechthin von dem Erlasse eines besonderen Ge-
setzes abhinge (H. Meyer-Allfeld, Lehrb. d. Straf-
rechts" & 46) oder an die Zustimmung des Land-
tags geknüpft wäre (Meyer-Anschütz).
Daß im Falle einer Amnestie von dem Erfor-
dermisse des Gesetzes abzusehen sei (Siebenhaar,
Ortloff, Geyer in Holtzendorff RL „Begnadigung")
ist eine nicht haltbare Aufstellung, die auch durch
die Praxis widerlegt wird (JMlI 1850 S 430,
1861 Sy, besonders aber 1862 S 66; ferner
Obertribunal in Goltd Arch 9, 1861 S 325).
## 4. Die Abolition von Neichswegen. Dem
Reichsgewalthaber ist ein A.Recht nirgends zu-
geschrieben. Da dem Träger der Reichsgewalt nicht
ohne weiteres die Gewalt im herkömmlichen Um-
fang der Landesstaatsgewalt zusteht, so fehlt die
A. selbst in den Fällen, wo dem Reiche eine Ge-
richtsbarkeit gebührt; denn die Gesetze sprechen
nur vom Begnadigungerechte in Sachen, in denen
die Gerichte „erkannt“ oder Strafe „verhängt“
haben [Belege (Begnadigungl. Das ist
für die Konsulargerichtsbezirke und die
Schutzgebiete zu bedauern, da auf so vor-
geschobenem Posten im Interesse des Ansehens
des Deutschtums vor Fremden und kulturell
Niedrigstehenden immerhin der Anlaß gegeben
sein könnte, ein Verfahren im Keime zu ersticken.
Nur in Elsaß-Lothringen kann der
Kaiser in beschränktem Maße — Amnestie — das
A. Recht üben, weil er nach R v. 9. 6. 71 „die“
Staatsgewalt dort ausübt. Das kann aber nur in
dem Umfange des französischen Machthabers
(Senatsbeschluß v. 25. 12. 52) gemeint sein; so
Laband III # 93 III, Bruck, Verf. R. v. Elsaß-
Lothr. 1 80 (entgegen Binding, Grundriß §& 110 V,
der schlechthin verneint, Arndt, RPBVzu a 11
Anm. 3, der schlechthin beiaht).
Eine Einwirkung des Reichs auf A. in den Ein-
zelstaaten ist denkbar z. B. auf Zusicherung straf-
freier Rückkehr für entwichene Wehrpflichtige
im Kriegsfalle oder Zusicherung einer Amnestie
in einem Friedensvertrage.
§5. Träger und Ausübung des Abolitions-
rechts. I. Die A. steht dem Landesherrn (Senate
der freien Städte) als dem Träger der Staats-
gewalt zu. In Mecklenburg besteht noch ein
Vorbehalt für den Magistrat der Seestädte Rostock
und Wismar. Die A. ist ein Akt der vollziehenden
Gewalt, nach freiem Ermessen geübt, gebunden
jedoch durch das Interesse des Staatswohls (v. Bar
469). Sie bedarf der Gegenzeichnung des verant-
wortlichen Ministers. Ihrem Wesen widerstreitet
grundsätzlich die Uebertragung auf ein andres
Organ. In der pre ußischen KriminO 35590 ist
diese zugelassen, jedoch nur an den Finanzminister
für Steuervergehen erfolgt (Justiz Min 15. 4. 34,
Kamptz Jahrb. 43, 647) und jetzt an die Schranke
von a 49 Abs 3 Vu (oben 5 3) geknüpft. Eine in
ihren Gründen nicht unverständliche Ausnahme
kennt Württemberg, wo durch Kgl Ent-
schließung v. 23. 2. 72 der Justizminister ermäch-
tigt ist, bei Majestätsbeleidigung das Verfahren
im Namen des Königs niederzuschlagen, wenn
nach pflichtmäßigem Ermessen binlängliche Gründe
vorhanden sind (Heimberger 57). JIn Waldeck
ist die A. nach der Absicht des Akzessionsvertrages
v. 2. 3. 87 a 4 (Fleischmann, Völkerrechtsquellen
215) dem Landesberrn verblieben.
Die A. ist möglich schon bevor sich eine Behörde
mit der Verfolgung der Tat befaßt hat (z. B. Zu-
sicherung an einen Kronzeugen — natürlich nicht
vor Begehung der Tat) und noch nach dem Urteil
bis zur Rechtskraft.
II. Schranken der Ausübung. 1. Eine gut-
achtliche Aeußerung wird ausdrücklich erfordert