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Eisenbahnen
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Eisenbahnnetzes.
I. Die erste — E. ist die am 7. 12. 1835 dem
Betriebe eröffnete Ludwigsbahn von Nürn-
berg nach Fürth (6,04 km lang); es folgten
1837 die erste Teilstrecke der früheren Leipzig-
Dresdener Privatbahn (jetzt zu den Kgl sächsischen
Staatsbahnen gehörig), 1838 die ersten Strecken
preußischer Privatbahnen, mit dem 1. 12. 38 die
erste deutsche Staatsbahn (Braunschweig-Wolfen-
büttel). Ueber die geschichtliche Entwicklung des
deutschen E.Netzes vgl. Stürmer, Geschichte
der E., 2 Teile, 1872, 1876; Kühn, Die histo-
rische Entwicklung des deutschen und deutsch-
österreichischen E.Netzes, Ergänzungshefte zur
Z des Kgl preußischen statistischen Bureaus, Berlin
1882, 1883 ff.; Statistik der im Betriebe befind-
lichen E. Deutschlands, bearbeitet im Reichs-
E. Amte 1 (Berlin 1882) S38—78 und Anhang 2.
In den ersten Jahrzehnten des E. Zeitalters
waren in Deutschland die Privatbahnen über-
wiegend. In Preußen insbesondere konnten
Staatsbahnen erst gebaut werden nach Einführung
der Verfassung, weil es dazu der Aufnahme von
Anleihen bedurfte, die nach §& II der V v. 17. 1.
1820 „nur mit Zustimmung und unter Mit-
garantie der künftigen reichsständischen Versamm-
lung" möglich war. Ebenso waren im Königreich
Sachsen hauptsächlich Privatbahnen vorhanden.
In den meisten übrigen Mittelstaaten wurde da-
gegen sogleich mit dem Bau von Staatsbahnen
begonnen. Auf Braunschweig folgten (1840)
Baden und Nassau, (1843) Bayern und Hannover,
(1845) Württemberg. In Sachsen wurde die erste
Staatsbahn 1848 eröffnet. Die älteste preußjsche
Staatsbahn ist die durch G v. 7. 12. 49 genehmigte
Kagl Ostbahn. Das Nebeneinanderbestehen von
Staats= und Privatbahnen erwies sich aber mit
der Zeit aus wirtschaftlichen und politischen Grün-
den unhaltbar. Ein in den Jahren 1875 und 1876
unternommener Versuch, alle deutschen E. in das
Eigentum und den Betrieb des Deutschen Reichs
zu übernehmen (Reichs E. Gedanke) scheiterte. Bald
darauf wurden der Ankauf der bestehenden Privat-
bahnen von den einzelnen Staaten in die Hand
genommen und jetzt liegt die Sache so, daß das
Staatsbahnsystem in allen deutschen
Staaten das alleinherrschende ist. Am 1. 1. 09
ist die einzige noch vorhandene größere Privat-
Bahn, die pfälzische Bahn, in den Betrieb des
bayrischen Staats übergegangen. Es gibt nur
noch wenige Privatbahnen und diese sind von dem
Staatsbahnnetz eingeschlossen und können ein
selbständiges Dasein nicht mehr führen.
Für die Entwicklung des preußischen E. Wesens
ist von besonderer Bedeutung der zwischen Preu-
ßen und Hessen am 23. 6. 96 abgeschlossene
Staatsvertrag,, in dem nach dem Erwerb
der hessischen Ludwigsbahn durch Preußen und
Hessen nach dem Vertrage vom 8./9. 7. 96, das
gesamte preußische und hessische E.Netz zu einer
Betriebs= und Finanzgemeinschaft zusammen-
geschlossen und einheitlich verwaltet wird (preuß.
G v. 16. 12. 966 GS 215). Diese Gemeinschaft,
in die nach dem Staatsvertrag v. 14. 12. Ol (preuß.
Gv. 7. 7. 02 GS 297) auch die vormalige Main-
Neckarbahn aufgenommen ist, und die infolgedessen
in das Gebict des Großherzogtums Baden hinein-
reicht, hat sich wirtschaftlich und finanziell für die
Teilnehmer sehr gut bewährt und es sind wiederholt
Versuche gemacht, eine ähnliche Gemeinschaft zur
weiteren Vereinheitlichung des deutschen E.Netzes
auch mit andern Staaten abzuschließen. Diese
Versuche sind bis jetzt noch nicht von Erfolg ge-
wesen. (Vgl. im übrigen Eisenbahnver-
bände, unten III 4).
II. Der Umsang des deutschen
Eisenbahnnetzes gestaltet sich nach der
letzten vorliegenden Statistik für das Rechnungs-
jahr 1908 wie folgt: An vollspurigen Haupt= und
Nebenbahnen waren vorhanden 57 354 km. Rech-
net man hinzu die nebenbahnähnlichen Klein-
bahnen um 9175 km, so beträgt der Gesamt-
umfang 66 529 km. Dieses Netz verteilt sich auf
8 Staatsbahnnetze, einschl. der Militärbahn und
der inzwischen in Staatsbesitz übergegangenen
Pfalzbahn, mit 53 912 km und 89 Privatbahnen
mit 3442 km. Die Staatsbahnen haben folgende
Ausdehnung: Reichsbahnen 1986 km, preußisch-
hessische Staatsbahnen 36 178 km, bayrische Staats-
bahnen (einschl. Pfalzbahn) 7576 km, sächsische
Staatsbahnen 2790 km, württembergische Staats-
bahnen 1880 km, badische Staatsbahnen 1713 km,
mecklenburgische Friedrich-Franzbahn 1100 km,
oldenburgische Staatsbahnen 649 km. Von den
Privatbahnen ist zwar nicht die längste, aber die
für den Verkehr bedeutsamste die Lübeck-Büchener
E. mit 144 km. Eine besondere Stellung neben
diesen im Mutterlande gelegenen nehmen die in
den deutschen Kolonien vorhandenen E. ein,
die hier nicht berücksichtigt sind. [# unten Abschnitt
VII S 703T.
II. Das geltende Vertaltungdrecht?!)
1. Die gesetzlichen Grundlagen
§l 3. Das Reichsrecht. Die grundlegenden Be-
stimmungen sind enthalten in a 4 Ziff. 8 und in
Abschnitt VII (a 41—47) der RV. Hiernach unter-
liegt das E.Wesen der Beaufsichtigung
und der Gesetzgebung durch das Reich im
Interesse der Landesverteidigung und des allge-
*) 1. Sollte die geplante Aenderung der Verfassung in
Elsaß- Lothringen, wie es verlautet (Ende 1910),
auch Aenderungen in dem E.Wesen der Reichslande im Ge-
folge haben, so findet sich das Nähere in den „Nachträgen“
dieses Bandes oder des letzten Bandes.
2. Ueber das internationale Recht val. in dem
vorliegenden Gesamtartikel namentlich die Abschnitte Über
„Frachtrecht“, „Eisenbahntarife“, „Eisenbahnverbände“, auch
„Konzessionen“, „Schutzgebiete"; ferner die Artikel: „Lan-
desgrenzsachen“, „Staatsverträge“, „Krieg“.
Ueber die Beziehungen des Deutschen Reiches zur
Gotthardbahn, in denen (zur Zeit noch nicht geklärte)
Aenderungen bevorstehen, wird ein besonderer Artikel — ie
nach Erledigung der schwebenden Fragen, am Schlusse
dieses Bandes oder des ganzen Werkes — unterrichten.
Außer den Lehr-= und Handbüchern des Bölkerrechts
(v. Lis zt 1 29 I, v. Ullmann 1147 V) sind zu ver-
gleichen: Meili, „Eisenbahnverträge“ (in Holtzendorffss
HB VBr 3, 257); W. Kaufmann, Die mitteleuropäi-
schen E. und das internationale öffentliche Recht, 1893;
Kopp, Das völkerrechtliche Berfahren und die Rechts-
wirkungen bei Herstellung von E. Verbindungen an den
Grenzen souveränuer Staaten, Diss. Greisswald 1907.
(Vom Herausgeber.)