Elsaß-Lothringen (Behörden)
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schluß über die Eigenart der Stellung des Landes
gibt dieser Begriff hier so wenig wie bei E. Eine
gewisse Aehnlichkeit besteht auch, wie neuerdings
betont wird, mit den Territorien der Nord-
amerikanischen Union. Der Gesamtstaat Union
besteht aus den Gebieten, in welchen das amerika-
nische Volk Kongreß und Präsidenten wählt und
die dann ihrerseits wieder eine gewisse Selbst-
regierung genießen. Die Territorien gehören
diesem republikanischen Souverän an, sind aber
noch nicht zugelassen, um ihn mitzutragen; er läßt
nur einstweilen die Staatsgewalt in ihnen aus-
üben. Sie sind daher weder selbst Staaten noch
vollwertige Teile eines Staates, sondern Neben-
länder des Staates Nordamerikanische Union.
Das Eigenartige an E., im Vergleich mit Lauen-
burg sowohl wie mit den amerikanischen Terri-
torien, ist, daß der Uebergang zum Staate ihm
ganz besonders schwierig sein muß. Für Lauen-
burg war der Weg gewiesen zur Einverleibung
in Preußen, die sich durch das G v. 23. 6. 76
vollzog. Territorien werden in ähnlicher Weise
gleichberechtigte Glieder des Gesamtstaates da-
durch, daß sie gewürdigt werden, fortan dem
Unionssouverän ebenfalls als Grundlagc zu die-
nen, „ausgenommen“ werden dazu. Wie das
Deutsche Reich gestaltet ist, könnte E. zum Staate
gelangen nur entweder so, daß es einem der vor-
handenen Bundesstaaten einverleibt, oder so, daß
es selbst einer würde. Den zu diesem letztern
Zwecke erforderlichen eigenen Souverän wäre das
elsaß-lothringische Volk wohl bereit in republika-
nischer Form selbst zu stellen, wenn nur auch die
deutschen Fürsten das wünschten; einen monar-
chischen Bundesstaat mit eigenem Fürstenhaus
hier zu gründen, hat aber auch wieder seine Schwie-
rigkeiten. Die Wahrscheinlichkeit spricht für die
vorläufige Fortdauer von Zwitterbildungen.
Literatur: Mitscher, E. unter deutscher Ver-
waltung, 1874; Croissant, Das Recht der Wiederge-
wonnenen slanonym)j, 1883; Leoni, Das Verfassungerecht
von E., 1892; Rosenberg, Die staatsrechtliche Stellung
von E., 1896; ders. in Annalen 1903 S 481 ff Hambur-=
ger, Die staatsrechuchen Besonderheiten der Stellung des
Reichslandes E. im deutschen Reiche, 1901; Laband 1,
197 f Otto Maver in Arch OefsKN 1900 S 537 ff
ders. in DJ#B 1905 S 369 ff, 1907 S 617 ff: Rehm, Allg.
Staatslehre, 1899 S 161 ff; Jellinek, Ueber Staats-
fragmente, 1896 S 267 f; Bruck, Verfassungs= und
VerwRecht von E. 1908 1 S 1—43.
B. Behördenorganisation“)
* 1. Grundlagen. 1 2. Landeseinteilung und Verwal-
tungsstusen. # 3. Zentralverwaltung. # 4. Bezirksverwal-
tung. 1 5. Kreisverwaltung. 1 6. Oertliche Berwaltung.
6 1. Grundlagen. Als man nach der Wieder-
vereinigung E. mit Deutschland an die Neuein-
richtung der Verwaltung ging, verzichtete man
darauf, selbständig neue Gestaltungen zu schaffen.
Man lehnte sich möglichst an die vorgefundene
Ordnung an und ersetzte nur die französischen Be-
hörden durch deutsche, ausgestattet im wesentlichen
½% Bergleichende Tabelle oben S 395; wegen geplanter
Aenderungen S 396.
mit den gleichen Zuständigkeiten und durch die
gleichen Abhängigkeitsverhältnisse miteinander
äverbunden. Gleichwohl war die deutsche Verwal-
tung von Anfang an cine ganz andere als die fran-
zösische gewesen war: sie füllte die alten Formen
mit dem Elemente, welches ihr eigentümlich ist,
mit dem deutschen Beamtentum, und
demgemäß mußten auch jene Formen mancherlei
Aenderungen erfahren. Der französische Verwal-
tungsbeamte soll nichts anderes sein als ein Werk-
zeug der Zentralgewalt: er wird willkürlich aus-
gewählt, ohne Anstellungsbedingungen, ebenso
willkürlich entlassen, ohne daß vom Gehaltsan-
spruch ctwas übrig bliebe; alle entscheidenden
Posten sind mit Einzelbeamten besetzt; jeder
schuldet dem Oberen unbedingten Gehorsam; da-
für genießt er aber auch einen gewissen Schutz
vor Verantwortlichmachung im Zivil= und Straf-
rochtswege. So bildet das Beamtentum eine
Kette vom Minister zum Präfsekten und zum
Unterpräfekten, welche der jeweils im Lande zur
Herrschaft gelangten Partei zu unbedingter Ver-
fügung steht. Von unten herauf ragen dann in
diese Staatsverwaltung hinein die Ehrenämter
der Bürgermeister, der General-, Arrondisse-
ments= und Gemeinderäte, welche ihrerseits wie-
der den örtlichen Parteimehrheiten überlassen
sind. Eine sorgsam ausgebildete, immer zugäng-
liche VerwzRechtspflege sichert die Freiheit und
das Recht des Einzelnen gegenüber all diesen
Machtinstrumenten.
Das deutsche Beamtentum, vor allem das alle
matgebenden Stellungen erfüllende gelehrte Be-
rufsbeamtentum, ist kein Werkzeug, sondern eine
selbständige Macht im Staate. Die Anwendbar-
erklärung des Reichsbeamtengesetzes auf die Lan-
desbeamten durch G v. 23. 12. 73 hat ihm seine
Stellung in diesem Sinne gewährleistet. Auf die
Machtentwicklung dieses Beamtentums sind fast
alle wichtigeren Abweichungen zurückzuführen,
welche die gegenwärtige Organisation aufweist
gegenüber jenen Grundzügen, die das Pluviose-
gesetz der ersten Republik gegeben hatte: statt der
Einzelbeamten voller besetzte Behörden mit
Haupt= und Nebenämtern; Umwandlung der
ganz willenlosen Unterpräfektur in eine selbstän-
dige Stufe der Verwaltung; teilweise Verdrän-
gung des Ehrenamtes durch Berufsbeamte; end-
lich Beseitigung der Schranken, welche die Verw-
Rechtspflege dem französischen Beamtentum ge-
setzt hatte, wenigstens in den wichtigsten Stücken.
Rechtsquellen: G v. 28. pluviose VIII, Gv.
30. 12. 71, Gv. 4. 7. 79, G v. 8. 7. 95.
§ 2. Landeseinteilung und Verwaltungsstu-
sen. Das Land zerfällt in drei Bezirke,
Ober-Elsaß, Unter-Elsaß und Lothringen; sie ent-
sprechen französischen Departements. An der
Spitze jedes Bezirks steht der Bezirkspräsident als
Nachfolger des französischen Präfekten. An die
Stelle der Unterabteilung des Departements, der
Arrondissements, sind die Kreise getreten,
aber in verdoppelter Zahl: 22, und seit der Tei-
lung des Kreises Diedenhofen 23 Kreise gegen 11
Arrondissements. Der Kreisdirektor, welcher hier
den Unterpräfekten ersetzt, ist mit einer weit wich-
tigeren Stellung ausgestattet, als dieser besaß.
In der Gemeinde endlich steht der Bürger-
meister in seiner Doppeleigenschaft als Vertreter
dieses Selbstverwaltungskörpers und als Beamter