Enteignung (A. Reichsgebiet)
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die zivilrechtliche Schadensersatzverbindlichkeit gel-
tenden Satz auf die E. Entschädigung. Unter
allen Umständen aber muß dem Enteigneten der
Wert des entzogenen Gegenstandes
an sich unverkürzt gewährt werden.
V. Die Entschädigung der Nebenbe-
rechtigten (vgl. unter II) ist materiell nach den-
selben Grundsätzen zu bemessen, wie der Anspruch
des enteigneten Eigentümers. Sie kann daher an
sich auch in ihrem Umfange nicht durch den Be-
trag begrenzt sein, welcher als Entschädigung
für die der E. unterworfene Sache selbst festge-
stellt wird. Darnach müßten richtigerweise die
Entschädigungsansprüche beider Teile immer für
sich gesondert festgestellt und durch den Unterneh-
mer befriedigt werden. Es würde also einerseits
der Wert der enteigneten Sache unter Berück-
sichtigung der aufhaftenden Lasten, andrerseits
der Wert der dinglichen Rechte Dritter besonders
abzuschätzen sein. Hier ist aber in der Gesetzgebung
vielfach ein anderes Verfahren gewählt worden,
indem man den dinglich Berechtigten den un-
mittelbaren Anspruch an den Unternehmer ver-
sagt und sie auf die für den Eigentümer festge-
stellte Entschädigung dergestalt verwiesen hat, daß
sie ihre Befriedigung entweder ausschließlich oder
wenigstens zunächst aus letzterer zu suchen haben
(Prinzip der Surrogation). Ein solches
Verfahren führt aber dann zur Benachteiligung
der dinglich Berechtigten, wenn ein Recht an der
Sache für den Inhaber einen höheren materiellen
Wert hat, als die betreffende Last den Wert des
Grundstücks schmälert. Außerdem ist es praktisch
nur bezüglich solcher Rechte ohne weiteres anwend-
bar, die auch an Forderungen bestehen können.
Denn das frühere Recht an der Sache soll nun-
mehr an einer Geldforderung ausgeübt werden.
Deshalb ist der Grundsatz der Surrogation für die
dinglichen Rechte Dritter als oberste Regel zu
verwerfen und allen dinglich Berechtigten zunächst
wenigstens die Füglichkeit zu bieten, daß sie die
ihnen an sich zukommenden Entschädigungsan-
sprüche aus der E. im Verfahren gegenüber dem
Unternehmer selbst geltend machen und deren
gesonderte Feststellung und Befriedigung erlangen
können. Dies schließt nicht aus, daß die Aus-
übung dieses Rechtes im Interesse der Verein-
fachung des Verfahrens an gewisse formale Be-
dingungen gebunden und das Surrogationsprin-
zip in zweiter Linie aushilfsweise angewendet
wird. So ist die Frage zuletzt in Sachsen ge-
löst worden, während andere Bundesstaaten bis-
her noch zumeist am reinen Surrogationsprin-
zip festgehalten haben.
8 9. Berhaãltuis der beiden Wirkungen der
Enteignung zu einander. Der äußerliche Zu-
sammenhang der beiden Rechtswirkungen der
E. bedingt an sich noch kein innerliches Abhängig-
keitsverhältnis: die Rechtsentziehung und Rechts-
übertragung einerseits und die Entschädigung an-
drerseits stehen an und für sich zu einander nur
im Verhältnisse von Ursache und Wirkung. Theo-
retisch betrachtet ist daher der Eintritt der dinglichen
Wirkung der E. nicht innerlich bedingt durch die
Erfüllung der obligatorischen Wirkung; die Rechts-
veränderung vollzieht sich unabhängig von der
Ersatzleistung. Nun ist aber vielfach durch aus-
drückliche Gesetzesvorschrift dieses der Natur der
Sache entsprechende Verhältnis in dem Bestreben,
dem Enteigneten gegenüber dem Eingriffe der
Verwaltung einen größeren Rechtsschutz zu gewäh-
ren und ihn hinsichtlich der tatsächlichen Befriedi-
gung seines Entschädigungsanspruches vollständig
sicher zu stellen, geändert worden. Die meisten
deutschen Gesetze verlangen vorgängige
Entschädigung des Enteigneten und machen da-
durch die Entschädigung zur Bedingung der Voll-
ziehung der E. (so besonders Preußen). An-
dere knüpfen die Perfektion der E. an die
Erledigung der Entschädigungsfrage: die E. kann
vor der Entschädigung ausgesprochen werden, sie
wird aber erst mit der Leistung dieser vollendet
go Hessen, Württemberg, Baden).
Alles dieses beruht aber lediglich auf positivrecht-
licher Bestimmung, nicht auf dem Wesen der E.
Das Prinzip der vorgängigen Entschädigung führt
sogar zu recht bedenklichen Folgen für die Voll-
ziehung der E. und die Entschädigungsermittelung
und erscheint in vielen Fällen praktisch überhaupt
nicht durchführbar. Denn es beeinträchtigt einer-
seits die rechtzeitige und planmäßige Durchführung
des enteignungsberechtigten U; andrerseits lassen
sich mancherlei Schäden aus der E., namentlich
solche aus der Art der Ausführung und dem Be-
triebe der Anlage im voraus entweder überhaupt
nicht oder wenigstens nicht mit der nötigen Sicher-
heit erkennen und beurteilen. Die mit der vor-
gängigen Entschädigung bezweckte Sicherung des
Enteigneten hinsichtlich der wirklichen und rechtzei-
tigen Befriedigung seines Ersatzanspruches läst sich
auch ohne die vorgängige Entschädigung erreichen,
wie dies besonders das säch sische E. Gesetz von
1902 zeigt. Nach diesem wird die E. perfekt und
die entsprechende Rechtsänderung tritt ein mit dem
legalen E. Ausspruche der Behörde und erst dar-
nach vollzieht sich der erforderliche Vermögens-
ausgleich. Der Unternehmer kann aber auch nur
bis zur Rechtskraft des E. Ausspruches vom E.An-
trage zurücktreten. Die Gefahr der Sache
geht auf ihn bereits mit der Eröffnung des E. Aus-
spruches über. In anderen Staaten ist dies ver-
schieden geordnet. Preußen und Hessen
sehen das Rechtsverhältnis erst mit der Feststellung
der Entschädigung als perfekt an. Der Unterneh-
mer braucht von dem ihm verliehenen ER keinen
Gebrauch zu machen. Tut er dies binnen der ihm.
bei Feststellung der Gegenstände der E. zu be-
stimmenden Frist nicht, so erlischt sein Recht. Er
haftet aber in diesem Falle dem Entschädigungs-
berechtigten für die Nachteile, welche diesem durch
das EVerf erwachsen sind. Nach Feststellung der
Entschädigung dagegen und zwar schon nach der
vorläufigen Feststellung im Verw Wege ist der
Unternehmer definitiv gebunden. Tritt er nun-
mehr von der E. zurück, so hat der Eigentümer die
Wahl, ob er lediglich Ersatz für die ihm durch das
Everf erwachsenen Nachteile oder Zahlung der
Entschädigung gegen Abtretung des Grundstückes
beanspruchen will. In Baden und Würt-
temberg wird für den Unternehmer eine Ver-
pflichtung zur Uebernahme der Gegenstände der
E. während des Eerf überhaupt nicht begrün-
det. Er ist nur verbunden, binnen einer bestimm-
ten Zeit nach Feststellung der zu enteignenden
Objiekte die Klage auf Normierung der Entschädi-
gung anzustellen und eine bestimmte Zeit nach
Festsetzung der Entschädigung durch deren Zah-
lung das Eigt an der Sache zu erwerben. Unter-