732
Entschädigungspflicht des Staates
einem Verschulden abhängig macht, hat es die
Greifbarkeit der juristischen Personen erleichtert
durch seinen 8 31, der sie unbedingt verantwortlich
erklärt für die schadensersatzpflichtige Handlung
der Vorstandschaft und anderer „verfassungsmäßig
berufener Vertreter“; durch § 89 ist diese Vor-
schrift auf den „Fiskus“ anwendbar geworden.
Voraussetzung für alles das ist aber immer, daß
der Staat überhaupt nach bürgerlichem Rechte zu
behandeln ist, was für ihn nicht das Selbstverständ-
liche, sondern die begrenzte Ausnahme vorstellt.
Es ist falsch, die Frage umgekehrt zu formulieren,
als wenn der Staat ganz von selbst überall dem
bürgerlichen Recht unterläge, wo nicht nachweis-
lich „in Ausübung der öffentlichen Gewalt“ ge-
handelt wurde. Vielmehr muß der Staat sich
nachweislich, wie man sagt, auf den Boden des
Privatrechts begeben haben d. h. in wirtschaftliche
Beziehungen getreten sein, wie sie auch bei einem
Privatmann stattfinden, und aus diesen heraus
muß die schadensersatzpflichtigmachende Tatsache
sich ergeben. Beim Schadensersatz für die nicht
erfüllte Verbindlichkeit ist diese Voraussetzung
einfach so zu bestimmen, daß die verletzte Verbind-
lichkeit selbst schon eine bürgerlichrechtliche sein
muß. Beim Schadensersatz für unerlaubte Hand-
lungen darf man nicht sagen, wie es schon oft ge-
schehen ist: dieser Schadensersatz wird privatrecht-
licherweise geschuldet, also gilt für den Staat,
sobald er dafür in Anspruch genommen wird, das
Privatrecht. Das wäre eine seltsame Begriffs-
verwirrung. Vielmehr ist zu fordern, daß der
Staat in einem privatwirtschaftlichen Unterneh-
men, einem privatwirtschaftlichen Besitz, in dem
ganzen Zusammenhang der Privatwirtschaft durch
die Art, wie er sich betätigt hat, schon steht
und daß daraus nun weiter die zu beurteilende
Tatsache entstanden ist. Wenn man es mit der
Abgrenzung dieser fiskalischen Unternehmungen
genau nimmt, so ist ihr Kreis nicht allzugroß, für
jede werden sich aber auch leicht und ungezwungen
die „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ be-
zeichnen lassen, von welchen die ausdehnende
Praxis so seltsame Exemplare ausweist. Tatsäch-
lich besteht eine solche ausdehnende Verwendung
der bürgerlichrechtlichen Bestimmungen über die
Schadensersatzpflicht des Staates in weitem
Maße. Es hat auch seine guten Gründe, weshalb
das so gemacht wird. Notwendig ist nur, daß man
sich klar bleibt über das, was man tut.
. Besondere Billigkeitsforderungen gegen
den Staat. Es besteht zweifellos das Bedürfnis,
den Staat zu Entschädigungsleistungen heranzu-
ziehen in Fällen, die im privatwirtschaftlichen
Verkehr keine oder nur unentwickelte Seitenstücke
finden. Der Staat ist die große Einrichtung zur Be-
sorgung der Geschäfte aller mit den Mitteln der
Gesamtheit. Dabei wird er die Einzelnen manch-
fach in Anspruch nehmen und ihnen Lasten auf-
erlegen müssen. Die Gerechtigkeit erfordert, daß
das nach einem gewissen ausgleichenden Maßstab
und in einer wohlberechneten Verhältnismäßig-
keit geschehe. Aber nicht immer ist das möglich.
Der Staat muß bewußt ungleich tref-
fen nach dem Zufall des Bedürfnisses: dieses
bestimmte Grundstück braucht er und kein anderes,
dieses Sonderrecht steht ihm im Wege, dieser be-
stimmte Einzelne muß mit einer Leistung in An-
spruch genommen werden. Ebenso bedeutsam ist
eine andere, unge wollte Sonderbelastung:
was das Gemeinwohl verlangt, muß mit einer
gewissen Rücksichtslosigkeit durchgeführt werden;
alle die machtvollen öffentlichen Anstalten und
Einrichtungen, die der Staat betreibt, können.
ohne ungerechte Benachteiligung einzelner nicht
ins Leben geführt werden, die dabei verwendeten
Sachen und Menschen wären denn tadellos und
unfehlbar; das sind sie aber nicht, und die Dinge
müssen doch vor sich gehen, auf diese Gefahr hin —
wen es trifft, der leidet unter der Notwendigkeit,
daß es der Staat um des Gemeinwohles willen
durchsetzen und darauf ankommen lassen muß; er
trägt die mit dem Unternehmen verbundenen Ge-
fahren des Fehlgehens vorzugsweise. Hier
macht sich nun überall mit großer Kraft der ein-
fache Billigkeitsgedanke geltend, daß die Gleich-
heit der Belastung wieder hergestellt werde, und
diese Wiederherstellung kann nur geschehen durch
eine ausgleichende Entschädigung,
die dem Betroffenen zu gewähren ist aus der ge-
meinsamen Kasse, die mit gemeinsamen Mitteln
wieder gefüllt wird. Das ist eine Billigkeitsfor-
derung, wie sie nur entstehen kann aus dem Ver-
hältnisse zwischen Staat und Untertan, wo das
eine Rechtssubjekt die Gesamtheit der anderen
vertritt, und die Macht hat, den Einzelnen un-
gleich zu belasten, ohne seinerseits eine unerlaubte
Handlung zu begehen. Die Schadensersatzrechts-
institute des Bürgerlichen Gesetzbuches sind auf
diese Voraussetzungen nicht zugeschnitten.
Damit ist das Problem gegeben, wie die drän-
gende Billigkeitsforderung zu ihren entsprechen-
den Rechtsformen kommen soll; denn von selbst
ist sie nicht Rechtens.
5s# 3. Umfang der durch die Billigkeit gesor-
derten Entschädignugspflicht. Soweit das gel-
tende Recht die von der Billigkeit geforderte Ent-
schädigungspflicht des Staates verwirklicht hat,
sind auch die in jener Forderung gelegenen
Schranken ziemlich allgemein zum Bewußt-
sein und zum Ausdruck gekommen. Es ist immer
vorausgesetzt eine Belastung, die der Ein-
zelne durch die Lebenstätigkeit der Staatsgewalt
erfährt, ein Opfer, welches ihm dadurch auf-
erlegt wird. Also nicht jeder Vermögensnachteil
genügt, sondern nur ein solcher, der zugleich einen
Eingriff vorstellt in den gesicherten Rechtskreis
des Einzelnen: Entziehung von Rechten, Beschä-
digung seiner Sachen oder seiner Leiblichkeit, Auf-
erlegung von Leistungen. Dieses Opfer muß ein
besonderes, ein ungerechtes sein, den Ein-
zelnen ungleich treffen (Gegensatz: Steuer,
Wehrpflicht und sonstige verteilte Lasten) und
unverdient d. h. ohne einen die Ungleich-
heit rechtfertigenden Grund (Gegensatz: Gebühr,
Strafe). Endlich muß der Schade erwachsen sein
aus der ordentlichen Tätigkeit des
Staates zur Verfolgung seiner Zwecke. Das
souveräne Gesetz, wenn es ein besonderes
Opfer auferlegt, eröffnet damit einen Entschädi-
gungsanspruch nur, soweit es ihn besonders vor-
sieht. Schade, der aus Anlaß von Krieg und
Aufruhr zugefügt wird, führt zu Entschädi-
gungen nur kraft freien Gewährungsentschlusses
im Einzelfall, nach Erwägungen der Billigkeit
allerdings, aber nicht in Anwendung eines im
voraus schon bestehenden Billigkeitsrechtes. Mit
den Justizschäden hat es eine eigentümliche