Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Erster Band. A bis F. (1)

  
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Entschädigungspflicht des Staates 
  
einem Verschulden abhängig macht, hat es die 
Greifbarkeit der juristischen Personen erleichtert 
durch seinen 8 31, der sie unbedingt verantwortlich 
erklärt für die schadensersatzpflichtige Handlung 
der Vorstandschaft und anderer „verfassungsmäßig 
berufener Vertreter“; durch § 89 ist diese Vor- 
schrift auf den „Fiskus“ anwendbar geworden. 
Voraussetzung für alles das ist aber immer, daß 
der Staat überhaupt nach bürgerlichem Rechte zu 
behandeln ist, was für ihn nicht das Selbstverständ- 
liche, sondern die begrenzte Ausnahme vorstellt. 
Es ist falsch, die Frage umgekehrt zu formulieren, 
als wenn der Staat ganz von selbst überall dem 
bürgerlichen Recht unterläge, wo nicht nachweis- 
lich „in Ausübung der öffentlichen Gewalt“ ge- 
handelt wurde. Vielmehr muß der Staat sich 
nachweislich, wie man sagt, auf den Boden des 
Privatrechts begeben haben d. h. in wirtschaftliche 
Beziehungen getreten sein, wie sie auch bei einem 
Privatmann stattfinden, und aus diesen heraus 
muß die schadensersatzpflichtigmachende Tatsache 
sich ergeben. Beim Schadensersatz für die nicht 
erfüllte Verbindlichkeit ist diese Voraussetzung 
einfach so zu bestimmen, daß die verletzte Verbind- 
lichkeit selbst schon eine bürgerlichrechtliche sein 
muß. Beim Schadensersatz für unerlaubte Hand- 
lungen darf man nicht sagen, wie es schon oft ge- 
schehen ist: dieser Schadensersatz wird privatrecht- 
licherweise geschuldet, also gilt für den Staat, 
sobald er dafür in Anspruch genommen wird, das 
Privatrecht. Das wäre eine seltsame Begriffs- 
verwirrung. Vielmehr ist zu fordern, daß der 
Staat in einem privatwirtschaftlichen Unterneh- 
men, einem privatwirtschaftlichen Besitz, in dem 
ganzen Zusammenhang der Privatwirtschaft durch 
die Art, wie er sich betätigt hat, schon steht 
und daß daraus nun weiter die zu beurteilende 
Tatsache entstanden ist. Wenn man es mit der 
Abgrenzung dieser fiskalischen Unternehmungen 
genau nimmt, so ist ihr Kreis nicht allzugroß, für 
jede werden sich aber auch leicht und ungezwungen 
die „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ be- 
zeichnen lassen, von welchen die ausdehnende 
Praxis so seltsame Exemplare ausweist. Tatsäch- 
lich besteht eine solche ausdehnende Verwendung 
der bürgerlichrechtlichen Bestimmungen über die 
Schadensersatzpflicht des Staates in weitem 
Maße. Es hat auch seine guten Gründe, weshalb 
das so gemacht wird. Notwendig ist nur, daß man 
sich klar bleibt über das, was man tut. 
. Besondere Billigkeitsforderungen gegen 
den Staat. Es besteht zweifellos das Bedürfnis, 
den Staat zu Entschädigungsleistungen heranzu- 
ziehen in Fällen, die im privatwirtschaftlichen 
Verkehr keine oder nur unentwickelte Seitenstücke 
finden. Der Staat ist die große Einrichtung zur Be- 
sorgung der Geschäfte aller mit den Mitteln der 
Gesamtheit. Dabei wird er die Einzelnen manch- 
fach in Anspruch nehmen und ihnen Lasten auf- 
erlegen müssen. Die Gerechtigkeit erfordert, daß 
das nach einem gewissen ausgleichenden Maßstab 
und in einer wohlberechneten Verhältnismäßig- 
keit geschehe. Aber nicht immer ist das möglich. 
Der Staat muß bewußt ungleich tref- 
fen nach dem Zufall des Bedürfnisses: dieses 
bestimmte Grundstück braucht er und kein anderes, 
dieses Sonderrecht steht ihm im Wege, dieser be- 
stimmte Einzelne muß mit einer Leistung in An- 
spruch genommen werden. Ebenso bedeutsam ist 
  
eine andere, unge wollte Sonderbelastung: 
was das Gemeinwohl verlangt, muß mit einer 
gewissen Rücksichtslosigkeit durchgeführt werden; 
alle die machtvollen öffentlichen Anstalten und 
Einrichtungen, die der Staat betreibt, können. 
ohne ungerechte Benachteiligung einzelner nicht 
ins Leben geführt werden, die dabei verwendeten 
Sachen und Menschen wären denn tadellos und 
unfehlbar; das sind sie aber nicht, und die Dinge 
müssen doch vor sich gehen, auf diese Gefahr hin — 
wen es trifft, der leidet unter der Notwendigkeit, 
daß es der Staat um des Gemeinwohles willen 
durchsetzen und darauf ankommen lassen muß; er 
trägt die mit dem Unternehmen verbundenen Ge- 
fahren des Fehlgehens vorzugsweise. Hier 
macht sich nun überall mit großer Kraft der ein- 
fache Billigkeitsgedanke geltend, daß die Gleich- 
heit der Belastung wieder hergestellt werde, und 
diese Wiederherstellung kann nur geschehen durch 
eine ausgleichende Entschädigung, 
die dem Betroffenen zu gewähren ist aus der ge- 
meinsamen Kasse, die mit gemeinsamen Mitteln 
wieder gefüllt wird. Das ist eine Billigkeitsfor- 
derung, wie sie nur entstehen kann aus dem Ver- 
hältnisse zwischen Staat und Untertan, wo das 
eine Rechtssubjekt die Gesamtheit der anderen 
vertritt, und die Macht hat, den Einzelnen un- 
gleich zu belasten, ohne seinerseits eine unerlaubte 
Handlung zu begehen. Die Schadensersatzrechts- 
institute des Bürgerlichen Gesetzbuches sind auf 
diese Voraussetzungen nicht zugeschnitten. 
Damit ist das Problem gegeben, wie die drän- 
gende Billigkeitsforderung zu ihren entsprechen- 
den Rechtsformen kommen soll; denn von selbst 
ist sie nicht Rechtens. 
5s# 3. Umfang der durch die Billigkeit gesor- 
derten Entschädignugspflicht. Soweit das gel- 
tende Recht die von der Billigkeit geforderte Ent- 
schädigungspflicht des Staates verwirklicht hat, 
sind auch die in jener Forderung gelegenen 
Schranken ziemlich allgemein zum Bewußt- 
sein und zum Ausdruck gekommen. Es ist immer 
vorausgesetzt eine Belastung, die der Ein- 
zelne durch die Lebenstätigkeit der Staatsgewalt 
erfährt, ein Opfer, welches ihm dadurch auf- 
erlegt wird. Also nicht jeder Vermögensnachteil 
genügt, sondern nur ein solcher, der zugleich einen 
Eingriff vorstellt in den gesicherten Rechtskreis 
des Einzelnen: Entziehung von Rechten, Beschä- 
digung seiner Sachen oder seiner Leiblichkeit, Auf- 
erlegung von Leistungen. Dieses Opfer muß ein 
besonderes, ein ungerechtes sein, den Ein- 
zelnen ungleich treffen (Gegensatz: Steuer, 
Wehrpflicht und sonstige verteilte Lasten) und 
unverdient d. h. ohne einen die Ungleich- 
heit rechtfertigenden Grund (Gegensatz: Gebühr, 
Strafe). Endlich muß der Schade erwachsen sein 
aus der ordentlichen Tätigkeit des 
Staates zur Verfolgung seiner Zwecke. Das 
souveräne Gesetz, wenn es ein besonderes 
Opfer auferlegt, eröffnet damit einen Entschädi- 
gungsanspruch nur, soweit es ihn besonders vor- 
sieht. Schade, der aus Anlaß von Krieg und 
Aufruhr zugefügt wird, führt zu Entschädi- 
gungen nur kraft freien Gewährungsentschlusses 
im Einzelfall, nach Erwägungen der Billigkeit 
allerdings, aber nicht in Anwendung eines im 
voraus schon bestehenden Billigkeitsrechtes. Mit 
den Justizschäden hat es eine eigentümliche
	        
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